Kalevala-Tag – Die Helden des Nationalepos

Jedes Jahr am 28. Februar feiert Finnland den Kalevala-Tag und den Tag der finnischen Kultur. Das Nationalepos Kalevala ist ein fester Bestandteil der finnischen Kultur. Es ist die Grundlage der nationalen Identität, das Symbol für die Wurzeln des finnischen Volkes. Allseits bekannt und doch in seinen Details fremd.

Im 19. Jahrhundert unternahm Elias Lönnrot in einem Zeitraum von 15 Jahren insgesamt 11 Exkursionen zu den finno-ugrischen Völkern in Ost- und Weißmeerkarelien, um alte Volksdichtung für sein Lebenswerk zu sammeln.  Der damalige Gelehrtenkreis hat Lönnrot sozusagen auserwählt, um die aufkeimende finnische Bewegung zu untermauern. Ein Nationalepos sollte dem finnischen Volk seine eigenständige Geschichte aufzeigen und damit die geistige Loslösung von der Jahrhunderte alten Abhängigkeit vom schwedischen Königreich ermöglichen.

Lönnrots Motivation bestand darin, den gebildeten Stadtbewohnern die Bedeutung der finnischen Sprache und der Volksdichtung näher zu bringen. Zu der Zeit sprach die „gebildete Elite“ Finnlands hauptsächlich Schwedisch und nur mäßig Finnisch. Durch seine Herkunft war Lönnrot wie für diese Aufgabe geschaffen. Er stammte aus einer ärmlichen Familie eines Dorfschneiders und sprach Finnisch, die schwedische Sprache lernte er erst in der Schule. Andererseits war er ein wissbegieriger und fleißiger Schüler und hat mit Hilfe von Freunden und Unterstützern ein Medizinstudium erfolgreich absolviert.

Lönnrots Lebenswerk

Das Nationalepos Kalevala ist ein Konglomerat aus unterschiedlichen Quellen und Elementen. Es beruht zwar auf mündlich übertragener Volksdichtung, aber wurde von Lönnrot ergänzt und interpretiert. Es entstammt der Volksmythologie, aber ist gleichzeitig ein Spiegelbild der vormodernen Welt und der damaligen bürgerlichen Gesellschaft. Lönnrot hat die Gedichte „verlängert“, indem er die für Kalevala typischen Wiederholungen eingefügt hat. Er hat neue Episoden und auch Protagonisten hinzugefügt.

Wer sind nun die Helden des Nationalepos? Die Namen sind vielen bekannt, aber wer sie wirklich sind, ist für viele ein Rätsel. Hier eine kurze Übersicht über die wichtigsten Figuren des Kalevala:

Der alte, weise Väinämöinen

Väinämöinen

Er ist der Sohn von Ilmatar, der Herrscherin der Luft (ilma = Luft), die erst die Welt gebar und danach Väinämöinen. Er ist uralt, mächtig und sehr weise und der bedeutendste Held des Epos. Väinämöinen ist ein Schamane und Sänger, der die erste Kantele der Welt baut. Er träumt von einer jungen Ehefrau, doch keine will ihn wegen seines Alters heiraten.

Ukko

Ukko (alter Mann) ist der Göttervater der finnischen Mythologie. Er wohnt in den Wolken und kann die ganze Welt überblicken. Wenn er zornig wird, schießen Blitze vom Himmel und seine Stimme donnert. Die Menschen wollen ihn freundlich stimmen und beten ihn an, denn er bestimmt, ob Regen fällt und das Getreide gedeiht. Interessanterweise ist die finnische Bezeichnung für Gewitter ukkonen, d.h. der kleine Ukko. Vielleicht wollten die Menschen durch die Verwendung des Diminutivs ihre Angst vor dem Göttervater herunterspielen?

Lemminkäinen

Er ist der Rowdy des Kalevala. Der Name Lemminkäinen bedeutet beliebt (lemmitty). Viele junge Frauen verlieben sich in Lemminkäinen, weil er gutaussehend und mutig ist. Er verehrt jedoch am meisten seine Mutter. Er hat aber auch viele weitere Namen, die ihn und sein Leben beschreiben: Ahti Saarelainen, weil er auf einer Insel lebt (saari = Insel), Kaukomieli, weil es ihn in ferne Länder und Kriege zieht ( kaukainen =  fern, mieliä = ersehnen) oder Lieto, weil viele ihn für oberflächlich und launenhaft halten.

Joukahainen

Joukahainen ist jung und attraktiv. Er hält sich selber für klug, obwohl er dem weisen Väinämöinen beim Gesangsduell unterlegen war. Er bereut es sehr, dass er in seiner Not seine Schwester Aino dem Väinämöinen zur Frau versprochen hat. Er wollte nicht im Sumpf versinken, in den Väinämöinen ihn beim Gesangsduell gezaubert hat.

Aino

Aino ist eine junge Frau, die einzige Schwester des Joukahainen. Daher rührt auch ihr Name Aino (ainoa = einzige). Ihre Mutter hätte sie gerne an einen reichen und berühmten Mann verheiratet, der alte Väinämöinen hätte ihr sehr gut gefallen. Aino wollte jedoch keinen alten Mann heiraten und würde lieber in das Reich des Ahti, des Herrn der Meere gehen.

Das Schmieden des Wundergerätes Sampo

Seppo Ilmarinen

Seppo Ilmarinen ist ein kunstvoller und fleißiger Schmied. Väinämöinen erteilt ihm die Aufgabe, ein Wundergerät, den Sampo, zu schmieden, den bisher niemand erschaffen konnte. Es gelingt ihm tatsächlich und so macht er sich gemeinsam mit Väinämöinen und dem wundersamen Sampo im Gepäck auf den Weg in den Norden, um der Tochter der Louhi einen Heiratsantrag zu machen. Beide müssen viele schwierige Aufgaben lösen und Abenteuer bestehen, zum Schluss entscheidet sich die Tochter der Louhi für Ilmarinen.

Louhi

Louhi ist die Herrin des Nordens, ein bösartiges, hässliches, altes Weib. Man fürchtet sich vor ihr, aber sie wird auch bewundert, denn sie traut sich, dem mächtigen Väinämöinen die Stirn zu bieten. Die Männer von Kalevala verlieben sich einer nach dem anderen in ihre wunderschöne Tochter und halten um ihre Hand an. Die Mutter Louhi gibt ihnen dann nahezu unlösbare Aufgaben, um herauszufinden, wer es wert ist, ihre Tochter zu ehelichen.

Die Tochter des Nordens

Die Tochter des Nordens ist wegen ihrer Schönheit sehr begehrt, ist aber sehr wählerisch. Deshalb müssen alle heiratswilligen Männer schwierige Prüfungen bestehen. Ihre Lieblingsaufgabe ist das Fangen eines Elches oder eines Pferdes aus einem Hiisi, einem Ort, der der Hölle sehr ähnlich ist. Sie entscheidet sich für Ilmarinen, weil er ein ehrlicher, ordentlicher und fleißiger Schmied ist. Sie feiern eine prachtvolle, mehrtägige Hochzeit.

Hiisi

Hiisi ist ein böser Geist, der weitab von bewohntem Gebiet in Hiitola lebt. Es gibt diese bösen Geister sowohl im Wald als auch im Wasser. Sie machen oft lauten Krach und treiben Schabernack. Wenn etwas ungewöhnliches passiert, sagen die Menschen oft „Hiisi vieköön! (Zum Teufel!)

Viele unheimliche Orte werden nach den Hiisi-Geistern benannt. Einzelne Felsbrocken im Wald sind Hiisi-Steine (hiidenkivi). In der Eiszeit entstandene, tiefe Löcher in den Felsen nennt man Hiisi-Butterfässer (hiidenkirnu). Vielleicht können die bösen Geister tatsächlich große Felsbrocken werfen und tiefe Löcher in den Fels bohren!

Ahti und Vellamo

Ahti und Vellamo ist das sehr geschätzte Herrscherpaar der Meere. Sie leben unter den Wellen in Ahtola. Ihre Aufgabe besteht darin, für guten Fischfang, Wellen und gute Segelbedingungen zu sorgen.

Die Magd und der Schwan von Tuonela

Tuonela ist das Reich der Toten und die Magd von Tuonela muss dafür sorgen, dass die Lebenden nicht den Tuonela-Fluss überqueren und in das Totenreich gelangen. Auf dem Tuonela-Fluss schwimmt ein schwarzer Schwan.  Wer den heiligen Schwan tötet, muss auch sterben. Das geschieht Lemminkäinen, aber seine Mutter findet ihn, sammelt seine Körperteile aus dem Fluss und er erwacht wieder ins Leben.

Mauri Kunnas: Koirien Kalevala, Otava

Es gibt viele unterschiedliche Fassungen des Nationalepos, z.B. verkürzte Versionen für den Gebrauch in der Schule. Einige Autoren haben auf der Grundlage von Kalevala auch Kinderbücher verfasst, wie das Hundekalevala“ (Koirien Kalevala) von Mauri Kunnas oder das „Kinderkalevala Finnlands“ (Suomen lasten Kalevala) von Kirsti Mäkinen. Eine Geschichte aus dem Epos hat es sogar in ein Donald Duck-Comicheft geschafft – „Das Geheimnis des Sampo“ (Sammon salaisuus).

Quellen:

Finnische Literaturgesellschaft SKS

Kalevala-Gesellschaft

 

Passend zum Kalevala-Tag: Rezept für den Karelischen Fleischtopf (Karjalanpaisti)

 

Alle Bilder: Fotos aus der Jubiläumsausgabe des Kalevala mit Kunstwerken von Akseli Gallén-Kallela (Beitragsbild: Die Mutter von Lemminkäinen)