Elias Lönnrot – der Schöpfer des Kalevala

Am 28. Februar feiert Finnland den Kalevala-Tag und den Tag der finnischen Kultur. Auf jenen Tag im Jahr 1835 ist das Vorwort der ersten Kalevala-Auflage datiert, des Ur-Kalevala.  Elias Lönnrot hat das Nationalepos von Finnland auf der Grundlage der mündlich überlieferten Gesänge zusammengetragen.

Paikkarin torppa, Lönnrots Geburtshaus in Sammatti, Foto: Museovirasto/Soile Tiirilä

Wer war Elias Lönnrot?

Er wurde 1802 in Sammatti als viertes der sieben Kinder des Schneiders Fredrik Johan Lönnrot und seiner Frau Ulrika geboren. Im Finnland des beginnenden 19. Jahrhunderts war es nicht selbstverständlich, eine höhere Bildung genießen zu können, wenn man nicht aus einer wohlhabenden Familie stammte. Elias war jedoch ein kluger und wissbegieriger Schüler, so dass er durch eigenen Fleiß und Unterstützung der Familie und Freunde schließlich das Abitur ablegen konnte.

1822 schrieb er sich an der Åbo Akademie ein. Seine Kommilitonen waren u.a. J.L. Runeberg und J.V. Snellman. 1827 schloss er sein Studium der Philosophie mit einer Magisterarbeit zum Thema Väinämöinen ab (De Väinämöine priscorum fennorum numine). Um sein Studium zu finanzieren, arbeitete Lönnrot in den Sommermonaten als Hauslehrer bei der Familie Törngren auf dem Gutshof Laukko (Laukon kartano). Johan Agapetus Törngren war Professor für Chirurgie und Gynäkologie an der Åbo Akademie.

Wissenschaftliches Netzwerk

Bei der Familie Törngren trafen sich die bedeutenden Persönlichkeiten der damaligen wissenschaftlichen Kreise. Hier lernte Lönnrot die notwendigen Fertigkeiten der Konversation und des herrschaftlichen Benehmens. Vor allem lernte er jedoch seine zukünftigen Professoren und besten Freunde kennen. Die gute Beziehung zu der Familie Törngren war sicherlich auch der Ansporn für sein anschließendes Studium der Medizin.

Bereits während seiner Zeit in Laukko begann er, Lieder und Geschichten der Landbevölkerung zu sammeln. Die Figuren der altfinnischen Sagen lernte er durch einen Verwandten der Hausherrin, Reinhold von Becker, kennen, der ihm das Thema seiner Magisterarbeit auch vorschlug. Die Figur des Väinämöinen, der von den urfinnischen Völkern als eine Art Gottheit verehrt wurde, war zu der Zeit noch vollkommen unbekannt in Finnland.

Exkursionen zu den Ursprüngen der finnischen Kultur

Lönnrot auf Wanderschaft, Bild: Museovirasto/A.V.Linsén

Lönnrot interessierte sich sehr für die Volkstraditionen und brach dann auch gleich nach Abschluss seines Studiums auf seine erste fünf Monate dauernde Exkursion nach Karelien auf. Im Anschluss daran nahm er sein Medizinstudium auf, das er erfolgreich in 1832 mit einer Promotion abschloss. Seine Dissertation trug den Titel „Über die magische Medizin der Finnen“. Sie war das Bindeglied zwischen seiner literarischen und seiner ärztlichen Tätigkeit. Lönnrot praktizierte als Arzt, fand jedoch immer wieder Zeit für viele Reisen zu den finno-ugrischen Völkern in Ost- und Weißmeerkarelien, um weiteres Material für sein Lebenswerk zu sammeln. Während seiner Reisen hat er nicht nur uralte Volksdichtung aufgezeichnet, sondern auch Sitten und Bräuche, Redewendungen und besondere Ausdrücke sowie Pflanzennamen dokumentiert. Er war auf seinen Reisen meistens zu Fuß unterwegs. Auf elf Exkursionen in einem Zeitraum von 15 Jahren legte er eine Strecke zurück, die etwa der Entfernung von Helsinki bis zum Südpol entspricht.

Das alles war nur deshalb möglich, weil er in den wissenschaftlichen Kreisen des Gutshofs Laukko viele Unterstützer gefunden hatte. Insbesondere die Hausherrin Eva Agatha Törngren hat ihn sowohl wissenschaftlich als auch finanziell unterstützt. Auch die erst neu gegründete Literaturgesellschaft Finnlands finanzierte seine Reisen. Der damalige Gelehrtenkreis hat Lönnrot sozusagen auserwählt, um die aufkeimende finnische Bewegung zu untermauern. Ein Nationalepos sollte dem finnischen Volk seine eigenständige Geschichte aufzeigen und damit die geistige Loslösung von der Jahrhunderte alten Abhängigkeit vom schwedischen Königreich ermöglichen. 1835 erscheint der erste Teil des alten Kalevala, im Jahr darauf der zweite. Das Nationalepos Finnlands erhält seine endgültige Form 1849. In dieser neuen erweiterten Fassung wird das Epos seither in Finnland gelesen und auf ihr beruhen auch die meisten Übersetzungen.

Zwei Väter der finnischen Sprache

Lönnrot war nicht nur ein Arzt und Volkskundler, sondern interessierte sich auch sehr für die finnische Sprache. Er wird sogar neben Mikael Agricola (1510-1557) als der zweite Vater der finnischen Sprache bezeichnet. Durch die Jahrhunderte lange Abhängigkeit von Schweden war Schwedisch die vorherrschende Sprache der gebildeten Schicht und der Verwaltung. Lönnrots Muttersprache war zwar Finnisch, aber wissenschaftliche Gespräche oder sämtlicher Briefwechsel mussten auf Schwedisch geführt werden. In der Autonomiezeit Finnlands gab es bereits eine finnische Schriftsprache, die sich vom Volksmund entfernt hatte. Aber sie war mehr oder weniger auf dem Niveau von Agricola stehengeblieben. Deshalb war das in 1880 erschienene Finnisch-Schwedische Wörterbuch mit mehr als 200 000 Wörtern eine weitere bedeutende literarische Leistung Lönnrots.

Er hat den Buchstaben d in die finnische Sprache eingeführt und hat aus vielen volkstümlichen Redewendungen finnische Entsprechungen für Fremdwörter entwickelt. Wörter, die Lönnrot neu etabliert hat, sind zum Beispiel: kirjallisuus (Literatur), kuume (Fieber), muste (Tinte), pöytäkirja (Protokoll), kieltolaki (Prohibitionsgesetz), tasavalta (Republik) und viele mehr. Lönnrot war der Ansicht, dass die eigene Sprache eine Voraussetzung für die Existenz und das Überleben einer Kultur ist. Bildung, Erledigung von Behördengängen und Angelegenheiten der Justiz, Tageszeitungen, Literatur, all das muss auf Finnisch möglich und vorhanden sein. Neben der Vorherrschaft der schwedischen Sprache kam noch die Tatsache hinzu, dass die in Ost- und Westfinnland gesprochenen Dialekte sich teilweise sehr stark voneinander unterschieden. Hier versuchte Lönnrot eine goldene Mitte zu finden: er hat die westlichen Dialekte als Grundlage benutzt und durch Ausdrücke der östlichen Dialekte bereichert.

Bedeutende Persönlichkeit

Elias Lönnrot war neben Runeberg und Snellman einer der bedeutendsten Persönlichkeiten seiner Epoche. Als vielseitig interessierter und international anerkannter Wissenschaftler hat er der finnischen Kultur den Weg geebnet und zu dem gemacht, was sie heute ist. Er hat das finnischsprachige Schulwesen  mitgestaltet, Büchereien gegründet und war Mitglied der wissenschaftlichen Vereine Finnlands, Estlands und St. Petersburgs sowie Träger des Preußischen Ordens Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste.

Quellen:

Finnische Literaturgesellschaft SKS (Englisch/Finnisch)

Kalevala-Gesellschaft (Englisch/Finnisch)

Beitragsbild: Bild von Akseli Gallén-Kallela aus der Kalevala-Jubiläumsedition, Die Mutter von Lemminkäinen