Rentierzucht in Finnland

Rentiere sind ein wesentliches Element der Landschaft Lapplands. Als Nutztiere sind sie jedoch auch ein bedeutender Wirtschaftsfaktor der nördlichen Region. Rentierzucht ist ein traditionelles Gewerbe der arktischen Völker.

Etwa 36 % der gesamten Fläche Finnlands, d.h. mehr als 123 000 qkm, ist gesetzlich als eine Region deklariert, in der Rentierhaltung betrieben werden darf. Das bedeutet für die Eigentümer, dass ihre Herden überall in diesem Gebiet weiden dürfen unabhängig von den Eigentumsrechten an Grund und Boden. In dieser Region leben etwa 200 000 Rentiere, jährlich werden ca. 100 000 geschlachtet. Jedes Jahr im Frühling werden allerdings mehr als 120 000 Jungtiere geboren. Die südliche Grenze der Rentierzuchtregion verläuft zwischen Halla im Osten, nördlich von Kuhmo und Kiiminki bei Oulu im Westen.

Gesetzlich geregelte Organisationsstruktur

Die Rentierzucht in Finnland wird durch ein seit 1898 bestehendes System der paliskunnat, d.h. regionaler Verwaltungseinheiten betrieben. Diese wiederum leiten die jeweiligen „poroisäntä“, die vorsitzenden Rentierzüchter. Die gesamte Region ist in 54 Einheiten aufgeteilt. Jeder Rentierhalter muss Mitglied in einem der regionalen Verwaltungseinheiten sein, seine Rechte und Pflichten sind im Rentierzuchtgesetz geregelt. Die regionalen Einheiten sind ihrerseits Mitglieder im Dachverband der Rentierzüchter, Paliskuntain yhdistys, und können dort im Verhältnis zur Anzahl der ihnen jeweils zuzuordnenden Tiere ihr Stimmrecht über den Vorsitzenden ausüben.

Rentierrennen in Rovaniemi.

Neben den verwaltungstechnischen Aufgaben besteht die gesetzmäßige Aufgabe des Dachverbandes in der Förderung und Weiterentwicklung der Forschung und Ausbildung im Bereich der Rentierzüchtung. Der Dachverband unterhält in Inari einen weltweit einmaligen Versuchsrentierhof, in dem Forscher aus verschiedenen Ländern mit mehr als 150 Rentieren arbeiten können. Der Versuchshof hat eine Gesamtfläche von 43 qkm.

Beruf mit langer Tradition

Der Beruf des Rentierzüchters wird von einer Generation zur nächsten vererbt und basiert auf traditionellem Wissen und Können. Er setzt eine absolute Unterordnung an die Begebenheiten der umgebenden Natur sowie ein Anpassen des gesamten Lebensrhythmuses an die Jahreszeiten, das Wetter und die Bedürfnisse der Rentiere voraus. Jeder Züchter hat sein eigenes Zeichen für seine Herde, die Kinder von Züchtern erhalten schon sehr früh ihr eigenes Zeichen und eigene Tiere.

Das berufliche Bildungszentrum der Sami-Region (Saamelaisalueen koulutuskeskus SAKK) in Inari bietet eine berufliche Grundausbildung zum Rentierzüchter mit einem Abschluss, der für weiterführende Studien an der Fachhochschule oder Universität qualifiziert. Der Beruf setzt sehr vielfältige praktische und verwaltungstechnische Fertigkeiten und Kenntnisse voraus. Ein Rentierzüchter muss sich nicht nur mit der Natur und den notwendigen Hilfsmitteln und Materialien auskennen. Auch die Gesetzgebung sowie die verschiedenen Systeme der Finanzierungs-, Genehmigungs- und Vergütungsverfahren sind wichtige Faktoren für die Ausübung des Berufes.

Es ist gesetzlich sehr streng geregelt, wer Rentiere besitzen darf und wie viele. In den südlichen Teilen der Zuchtregion dürfen es maximal 300 Tiere pro Eigentümer sein, im Norden 500. Es gibt insgesamt etwa 4500 Rentierzüchter, für etwa 1000 davon bildet die Rentierzucht die Haupterwerbsquelle.

Im Frühsommer werden die Jungtiere gezählt

Im Gegensatz zu den herkömmlichen Landwirten mit Viehzucht sind die Rentierherden das ganze Jahr über in der freien Natur und suchen sich dort ihre Nahrung. Ab juhannus, dem Mittsommerfest, verziehen sich die Herden in die höhergelegenen Gebiete, um Schutz vor den unangenehmen Insekten zu suchen. Das ist auch der Zeitpunkt, wenn die Rentierzüchter ihre Herden wieder zusammentreiben, um die Jungtiere zu fangen und mit dem Zeichen ihres Eigentümers zu versehen.  Das Zusammentreiben in der weitläufigen Wildnis ist heute mit viel Hightech verbunden und erfolgt mit geländegängigen Motorrädern, kleinen Hubschraubern und Flugzeugen. Die Kommunikation untereinander funktioniert mit Mobiltelefonen oder Funksprechgeräten.

Das Großereignis der Rentierzüchter

Ab September beginnt die Brunftzeit der Rentiere. Die Rentierböcke beginnen dann, um die Kühe zu kämpfen und sammeln ein regelrechtes Harem um sich herum. Auch dieses Verhalten nutzen die Rentierzüchter aus, um ihre Herden zu sammeln. Das poroerotus, d.h. das Trennen der Tiere, ist sozusagen die „Erntezeit“ der Rentierzüchter und gleichzeitig die wichtigste Zusammenkunft aller Züchter der Region.

Rentiergehege in Sallivaara.

Die Tiere werden in Gruppen in ein Gehege getrieben, in dem man dann die für die Schlachtung vorgesehenen Tiere heraussucht. Rentiere, die sich aus anderen Regionen hierher verirrt haben, werden herausgeholt und ihren Eigentümern zugeführt. Die restlichen Tiere werden gezählt und heutzutage nahezu ausnahmslos gegen Parasiten behandelt. Die registrierten und behandelten Rentiere bekommen ein Zeichen ins Fell und dürfen weiterziehen. In großen regionalen Einheiten können bis zu 2000 Rentiere zusammenkommen. Das Zusammentreiben kann mehrere Wochen in Anspruch nehmen, mancherorts werden dafür auch heute noch Hütehunde eingesetzt. Oft wird aus dem Ereignis ein regelrechtes Volksfest, das viele Touristen anzieht.

Orientierung in der Wildnis

In vielen kleinen Orten in Lappland schafft die Rentierzucht Arbeitsplätze und ein soziales Netzwerk für die Bewohner. Der Verkauf des Rentierfleisches ist die größte Einnahmequelle der Züchter, aber die Rentiere bieten viele weitere gewerbliche Möglichkeiten, wie z.B. im Bereich des Erlebnistourismus. Bei der Schlachtung kann das gesamte Tier verwertet werden. Es heißt, dass lediglich die Seele des Rentiers „verloren“ geht. Allerdings sagt der Volksmund auch, dass die Seele eines geschlachteten Rentiers in die Wildnis Lapplands zurückkehrt, um dort den Wanderern Orientierung zu geben.

Rentiere im Hossa-Nationalpark

Weitere Informationen

Paliskuntain Yhdistys (Englisch/Finnisch)

Visit Finland: Mit dem Rentierschlitten

Alle Fotos: Alexandra Mahler-Wings