Ryijy – Finnische Teppichknüpfkunst in Stuttgart

Alexandra Mahler-Wings hat schon mehrere Male gemeinsam mit ihrem Mann Finnland mit dem VW-Reisebus bereist und alles in wunderbaren Fotoberichten festgehalten. Jetzt nahm sie an einem finnischen Ryijy-Kurs in Stuttgart teil und lässt uns an ihren Erfahrungen teilhaben:

Am Sonntag vor Ostern findet in Stuttgart ein Ryijy-Kurs statt. Das lese ich Anfang des Jahres im „Ikkuna“ (Schaufenster) der DFG Baden-Württemberg.  Bei unseren Besuchen in Finnland habe ich Ryijy-Wandbehänge gesehen, alte und auch neue und habe mir letztes Jahr vorgenommen, selbst mal einen zu machen. Das ist aber leichter gesagt als getan, denn es gibt zwar in Taito-Shops Do-it-yourself Pakete, aber nur mit finnischer Anleitung, vielleicht grade noch auf Englisch. Handwerkskunst nach schriftlicher Anleitung finde ich sowieso schwierig. Umso mehr freue ich mich über den Kurs. Aber Kiel – Stuttgart für 5 Stunden Kurs? Mein Stiefsohn wohnt in Mainz, er lädt mich ein, von ihm aus zum Workshop zu fahren. Ich kann den Workshop mit einem Besuch bei ihm verbinden. Das gibt den Ausschlag für eine Kurzreise nach Süddeutschland.

Vermittlerin textiler Kulturen

Der Kurs findet sonntags im Rahmen der europäischen Tage des Kunsthandwerks in Nanna Aspholm-Fliks Atelier statt. Am Samstag lädt Nanna bereits zum Werkstattgespräch ein. Die Textildesignerin ist Finnin, sie lebt schon lange in Deutschland, wenn sie nicht unterwegs ist, um für ihre Leidenschaft zu forschen: Textile Kunst, die es überall auf der Welt gibt.

Ihr geht es um die Wertschätzung der Stoffe, die uns seit Menschengedenken umgeben, und um die Kulturtechniken, die entwickelt wurden, um aus verschiedenen Materialien Dinge für den täglichen Gebrauch, aber auch für zeremonielle Anlässe zu schaffen. Sie ist Vermittlerin textiler Kulturen, Vernetzerin und zudem Künstlerin. Sie schafft aus Textilien Kunstwerke, indem sie verfremdet, neu kombiniert, Altes und Neues verbindet.

Immaterielles Kulturerbe

Den Ryijy-Kurs am Sonntag gibt Jenni Vanhanen. Jenni lebt in Finnland in Nummela westlich von Helsinki. Nanna ist bei einer Messe auf ihren Stand aufmerksam geworden, seitdem sind sie in Kontakt. Jenni und die Ryijys haben eine besondere Geschichte: Am Tag, als die finnische Fußball-Nationalelf gegen Belgien spielte, setzte sich ein Uhu auf das finnische Tor. Das Spiel musste fast 10 Minuten unterbrochen werden und die Finnen gewannen. Seitdem ist der Uhu – Huuhkaja – das Maskottchen der Elf. Jenni fragte, ob sie das Huuhkaja-Motiv für einen Ryijy-Wandbehang verwenden darf. Danach ist der Ryijy auf dem Bild links als Geschenk an die Mannschaft entstanden.

 

Am dem Tag, an dem die Finnen im Jahr 2020 gewannen, wurde die Ryijy-Kunst in die nationale Liste des immateriellen finnischen Kulturerbes aufgenommen – unter besonderer Erwähnung von Jenni Vanhanen. Sie hat als frühere IT-Ingenieurin ein Programm entwickelt, mit dem man Fotos in Vorlagen für Ryijys umwandeln kann und damit diese uralte Kunst mit moderner Technologie verbunden. Wer einen Ryijy nach einem Foto knüpfen will, kann sich mit ihr in Verbindung setzen. Am Sonntag freuen sich 11 Frauen darüber, dass immaterielle Kulturgüter nicht ortsgebunden sind und sie in Stuttgart diese Kunst lernen können. Jenni führt zuerst in die Geschichte der Ryijys ein.

Schritt für Schritt

Dann werden die Materialien verteilt und Schritt für Schritt erklärt, wie die Nadel zu führen und die Knoten zu fertigen sind. Die mit Naturfarben gefärbte Wolle stammt von finnischen Schafen. Ryijys wurden traditionell aus Wolle gefertigt, inzwischen werden insbesondere bei Kunstwerken auch andere Materialien verwendet.  Jenni hat auch ein Buch über finnische Wolle herausgegeben. Wer will, kann gleich designen – oder erstmal die Technik üben. Die Zeit vergeht schnell. Zwischendurch kommt frau ins Gespräch, blättert Bücher durch und staunt über die Vielfalt im Atelier.

Voll von Inspirationen fahre ich von diesem Wochenende nach Hause. Irgendwann werde ich einen eigenen Ryijy designen, vielleicht mit Jennys Hilfe nach einem Foto. Aber erstmal heißt es üben, üben, üben.  Und bestimmt passt es auch mal mit einem Kurs bei Jenni in Finnland. Sie gibt auch online-Kurse, bisher auf Finnisch, vielleicht bald auf Englisch.

 

Text und Fotos: Alexandra Mahler-Wings

 

Weitere Informationen

 

Drei Tipps in Norddeutschland für Textil/Stoff-Interessierte:

  • Museum Tuch und Teppich Neumünster, aktuell: „Das Bauhaus. Künsterlinnen gestern und heute – Weberei, Malerei, Objekte und Fotografie“, bis 21.05.23
  • Hansemuseum Lübeck, aktuell: „Guter Stoff – Textile Welten von der Hanse bis heute“,
  • Kunsthalle Emden ab 16.09.23:  KUNST·STOFF – TEXTIL ALS KÜNSTLERISCHES MATERIAL – Ausstellung zurzeit in der Kunsthalle Vogelmann in Heilbronn

Iltamaa  (auf Finnisch)

Alexandras Reiseberichte:

2022

2020