Über jäätelötötterös, Interkulturelles und die Fichtenbucht

Unser neues Mitglied, Birgit Griese-Saarinen, lebt schon seit vielen Jahren in Finnland, ist aber immer noch fest mit ihrer alten Heimat verbunden. Im Interview stellt sie sich vor und berichtet über ihre Erfahrungen als Zugezogene in Turku.

DFG S-G: Du stammst ursprünglich aus Nordrhein-Westfalen, was hat Dich nach Finnland verschlagen?

Birgit: Letztendlich haben so einige Zufälle dazu geführt, dass Finnland meine zweite Heimat geworden ist.

Mich hat es trotz der Kindheit im recht ländlichen nördlichen Ruhrgebiet schon immer ans Wasser gezogen. Das Studium an der Ruhr-Universität war mit Pendeln verbunden und sagte mir nicht wirklich zu. Allerdings brachte mich während der Zeit eine Kommilitonin auf die Idee, zusätzlich zu meinem Germanistik (DaF*) – und Anglistikstudium Skandinavistik als Nebenfach zu studieren. Aus verschiedenen Gründen bin ich dann zum Studium in Kiel gelandet und wohnte in der Deutsch-Nordischen Burse. Das Zusammenleben mit vielen Studierenden aus Deutschland und den nordischen Ländern hat mich sehr geprägt – besonders beeindruckt hat mich allerdings die groβe Heimatliebe der FinnInnen. Als Skandinavistik-Studentin war ein Auslandsaufenthalt ja Programm. Meine KommilitonInnen entschieden sich hauptsächlich für Dänemark oder Schweden – mir hatte ein finnischer Freund so ganz nebenbei berichtet, dass es auch in Finnland eine schwedischsprachige Universität gäbe. Ich machte mich dazu schlau und erhielt Anfang der 90er ein DAAD-Stipendium für ein Studienjahr an der Åbo Akademie. Ursprünglich war also ein (!) Jahr Studienaufenthalt in Turku geplant, jetzt sind schon über 30 Jahre ins Land gezogen. Wie das Leben so spielt.

DFG S-H: Hast Du schon die finnische Sprache gelernt?

Untrügliche Frühlingsboten: die schmelzenden Eisbrocken rund um die Insel Kuusisto vor den Toren von Turku.

Birgit: Ich habe ziemlich schnell gemerkt, dass man hier trotz der Tatsache, dass Schwedisch zweite Amtssprache ist, Finnisch können sollte, wenn man sich wirklich integriert fühlen möchte. An der Kieler Uni hatte ich nur ein oder zwei Finnischkurse belegt und mein Wortschatz war zu Beginn meines Finnlandaufenthaltes sehr übersichtlich. In Turku besuchte ich auch nur vereinzelt Sprachkurse, sprang dann einfach „ins kalte Wasser“ und probierte mich aus. Mittlerweile spreche ich flieβend Finnisch und bin mir gar nicht mehr immer bewusst, ob ich gerade Deutsch oder Finnisch spreche. Aber ich durfte mittlerweile ja auch schon sehr viele Jahre üben.

DFG S-H: Was waren die größten Schwierigkeiten in der Anfangszeit?

Birgit: Die Tatsache, dass ich meine o.g. Fächer auf Schwedisch studierte und zusätzlich noch Finnisch lernte, hat mich zwischenzeitlich sehr gefordert, denn ich hatte es häufig mit 4 Sprachen an einem Tag  zu tun. Die hohen Preise und besonders der lange Winter stellten auch Herausforderungen dar: So musste ich unzählige Male meine Wintersachen wieder hervorholen, die ich optimistisch schon bei den kleinsten Anzeichen von Frühling weggepackt hatte. Auf diese Art lernte ich, warum es im Finnischen das Wort „takatalvi“ (auf Deutsch „Rückwinter“) gibt😉

DFG S-H: Du bist selbständige Unternehmerin, um was für eine Branche handelt es sich?

Birgit: Seit 2008 bin ich sogenannte Solounternehmerin, somit feiere ich in diesem Jahr mein 15jähriges Firmenjubiläum. Ich bin zertifizierte interkulturelle Business-Trainerin und systemischer Coach. Mein Arbeitsschwerpunkt sind interkulturelle Trainings und Beratung in deutsch-finnischen Kooperationen. Auch wenn wir viele Gemeinsamkeiten haben, gibt es doch viele Quellen für Missdeutungen und -verständnisse im beruflichen Miteinander. Man hat (unbewusst) die eigene „kulturelle Brille“ auf und erwartet vom ausländischen Counterpart, dass er/sie den eigenen Erwartungen entspricht. Da den beiden Kulturen aber doch auch so einige unterschiedliche Werte zugrunde liegen, ist dies – für Viele sehr überraschend –  gar nicht immer der Fall. Durch interkulturelle Trainings können Reibungspunkte vermieden und die Effizienz in der Zusammenarbeit gesteigert werden. Ideal sind natürlich präventive Trainings – Tatsache ist jedoch, dass ich oft erst gerufen werde, wenn es schon entstandene „Knoten“  zu lösen gibt. Ich durfte schon vielen namenhaften Unternehmen über einen längeren Zeitraum in ihrer jeweiligen Muttersprache z.B. bei Fusionen zur Seite stehen, angefangen von der deutsch-finnischen Schiffsbauindustrie bis hin zu börsennotierten Kranunternehmen und Stromkonzernen. Zusätzlich bereite ich Expats verschiedenster Länder auf Ihre Entsendung nach Finnland vor, manchmal sogar verbunden mit „Walk & Talk“- Coaching in freier Natur. Die Kombination aus Bewegung und Natur fördert Kreativität und lösungsorientierte Denkprozesse.

Das FAIRständnis füreinander zu fördern und interkulturelle WinWin-Effekte zu erzielen, ist mir eine Herzensangelegenheit.

Die interkulturelle Sensibilisierung sollte als Vorbereitung auf die Arbeit im internationalen Kontext auch vermehrt im Rahmen von Studien- und Ausbildungsgängen gefördert werden und es freut mich daher sehr, dass die Aue-Stiftung meine deutsch-finnischen interkulturellen Workshops an den Turkuer Universitäten finanziell unterstützt.

Turku ist eine grüne, agile Universitätsstadt im Südwesten Finnlands.

DFG S-H: Was können wir von Finnland lernen?

Birgit: Beide Länder können enorm viel voneinander lernen und sich ergänzen. An dieser Stelle kann ich natürlich nur sehr begrenzt auf dieses Thema eingehen, aber folgende Beispiele seien genannt:

Als ein Grund für die viel zitierte „happiness“ hier im hohen Norden wird oft die Life-Work-Balance angegeben. Davon sind tatsächlich viele Expats angetan. Allgemein geht man viele Sachen gelassener an, hat häufig ein agileres Mindset z.B. bei der Entscheidungsfindung und legt in der Geschäftspraxis groβen Wert auf Gleichwertigkeit und flache Hierarchien, was von deutschen Counterparts nach einer Gewöhnungsphase oft als positiv empfunden wird. Allerdings ist diesbezüglich ja auch Deutschland, insbesondere die dortige Start Up-Szene, im Umbruch und viele Elemente werden sich mit der Zeit angleichen.

DFG S-H: Gibt es auch etwas, was Finnland von uns lernen kann?

Birgit: In Finnland herrscht oft eine sogenannte Konfliktvermeidung, man spricht Missstände nicht unbedingt explizit an, sondern geht davon aus, dass das (ausländische) Gegenüber diese kontextbezogen selbst erkennt. In Deutschland ist man jedoch viel mehr auf Explizität angewiesen, redet „Tacheles“ und kann trotzdem danach wieder einträchtig miteinander umgehen. Rege Diskussionen und Gegenargumente (im Deutschen gibt es ja sogar das Wort „Streitlust“) werden in Finnland oft als etwas übergriffig oder aggressiv empfunden. Diese Trennung von „Sache“ und „persönlicher Beziehung“ à la Deutschland könnte zumindest innerhalb der Geschäftspraxis schneller Konflikte oder komplizierte Sachverhalte lösen. Auch hier heiβt es wieder: Die Mischung macht´s, man kann sich einiges voneinander abgucken. Das ist auch immer die Quintessenz meiner Trainings.

DFG S-H: Was vermisst Du aus Deiner Heimat?

Birgit: Gerade hab ich wieder an Ostern gemerkt, dass mir ab und zu einige deutsche Traditionen wie jetzt z.B. die vielen Osterbäume und -dekorationen fehlen. Ich selber pflege diese Traditionen natürlich mit meiner Familie auch in Finnland. Lebensmittelmäβig hat sich ja auf dem finnischen Markt viel getan, so dass man nicht mehr allzu viele Produkte vermisst. So ein richtiges Spargelessen im Frühjahr fehlt mir schon öfters, aber das lässt sich ja durch einen Deutschlandbesuch korrigieren. Zwischen den Aufenthalten in deutschen Landen erleichtern die sozialen Medien ja den regelmäβigen Kontakt zu Freunden und Familie, die ich natürlich ab und zu vermisse.

DFG S-H: Wie geht es Dir mit dem langen nordischen Winter und den hellen Sommernächten?

Birgit: Wie bereits oben beschrieben, macht mir die Länge des nordischen Winters schon öfter zu schaffen. Liegt allerdings Schnee, so hab ich viel Freude an langen Spaziergängen und Skilanglauftouren. Die hellen Sommernächte schätze ich sehr. In Finnland ist man ja wegen der Kürze des Sommers sehr darauf bedacht, generell möglichst jeden Sonnenstrahl auszunutzen. Insgesamt ist durch die Jahre in Finnland mein Bewusstsein für die Natur und die Jahreszeiten gestiegen, was ich als Bereicherung empfinde.

Kuusisto im Sommer

DFG S-H: Was ist Dein Lieblingsort in Deiner neuen Heimat?

Birgit: Der Ort, an dem ich mit Abstand am besten die Seele baumeln lassen kann, ist unser mit vereinten (Familien-) Kräften gebautes Wochenend- bzw. Sommerhaus auf der Insel Kuusisto. Die Kombination aus Ostsee, Felsen und Wald hat zu jeder Jahreszeit eine unglaublich erholsame Wirkung, die sich kaum übertreffen lässt. Auch wenn wir gern ins Ausland reisen, unsere „Fichtenbucht“ ist immer für die Erdung zuständig.

DFG S-H: Und Dein finnisches Lieblingswort?

Birgit: Ich arbeite nebenbei als autorisierte Stadtführerin für Turku und Naantali sowie als Guide auf der Meyer Werft in Turku. Die meist deutschsprachigen Gruppen haben immer groβes Interesse an Kulturunterschieden, dem finnischen Lebensstil und der finnischen Sprache. Ich gebe ihnen immer gerne das Wort „mansikkajäätelötötterö“ (Erdbeereis in der Waffel) mit auf dem Weg, ein herrliches Potpourri aus Vokalen und Konsonanten.

DFG S-H: Danke, Birgit, für die interessanten Einblicke in das Leben als Solounternehmerin in Finnland. Du hast uns gelegentliche Blogbeiträge aus Deiner zweiten Heimat in Aussicht gestellt, wir sind schon sehr gespannt!

 

* DaF ist die Abkürzung für “Deutsch als Fremdsprache”

Weitere Informationen

Fideco

Aue-Stiftung

Alle Fotos: Birgit Griese-Saarinen