Wohnung zuerst – wie in Finnland Obdachlosigkeit bekämpft wird

Finnland ist das einzige EU-Land, in dem die Zahl der Obdachlosen sinkt. Und das ist kein Zufall. Seit den 1980er Jahren arbeiten staatliche und kommunale Institutionen sowie NGOs Hand in Hand, um jedem finnischen Bürger ein Dach über dem Kopf zu ermöglichen.

Im Jahr 2019 waren in der EU etwa 700.000 Menschen obdachlos, wobei die Zahl der Obdachlosen in ganz Europa stieg. Mit Ausnahme Finnlands, das einen Rückgang um 45% meldete. Wohnraumunterversorgung ist der Kern von Armut und sozialer Ausgrenzung und eng mit der Arbeitslosigkeit verbunden.

Das Wohnung zuerst –Prinzip ist eine alternative Denkweise

Wohnung zuerst (Asunto ensin) ist ein alternativer finnischer Ansatz, die Wohnungslosigkeit von Menschen mit diversen Problemen zu reduzieren. Denn er kombiniert Wohnen mit Unterstützungsangeboten in einer Weise, die eine hohe Wahrscheinlichkeit bietet, dass Betroffene wieder eine Wohnung finden und diese auch behalten können. Damit stellt dieser Ansatz eine Abkehr von der bisherigen Arbeit gegen Wohnungslosigkeit dar, in der zunächst die sozialen bzw.  die Suchtprobleme der Betroffenen gelöst und erst danach stabile Wohnverhältnisse geschaffen werden. Wenn das Dach über dem Kopf sicher ist, kann sich der Mensch leichter auf das Lösen seiner Probleme konzentrieren.

Die eigene Wohnung ist ein Menschenrecht

Im Wohnung zuerst –Modell ist die Wohnung keine Belohnung, die der Obdachlose erhält, wenn er sein Leben in den Griff bekommen hat. Die Wohnung stellt im Gegenteil die Basis dar, auf der man sein Leben neu aufbauen kann, sozusagen ein grundlegendes Menschenrecht. Diese neue Herangehensweise hat das Leben von vielen Langzeitobdachlosen in Finnland sehr erleichtert. In diese Kategorie fallen insbesondere Menschen mit Sucht- und psychischen Problemen.

Die Umsetzung des Modells hat gezeigt, dass Menschen in dieser Kategorie sehr wohl in der Lage sind, in einer „normalen“ Mietwohnung zurecht zu kommen, wenn sie die richtige und zielgerichtete Unterstützung bekommen. Für den einen reicht ein gesicherter Mietvertrag und ein sicheres Zuhause, der andere benötigt zusätzliche Gesprächsmöglichkeiten und der dritte vielleicht Therapieangebote.

Wohnraum zur Verfügung stellen

Man kann natürlich Obdachlosen Wohnungen nur dann zur Verfügung stellen, wenn es auch genug davon gibt. Für die Umsetzung des Modells war es deshalb wichtig, dass neue bezahlbare Wohnungen auf den Markt kamen. Zu diesem Zweck hat die Regierung Finnlands eine integrative, dreistufige Strategie gegen Wohnungslosigkeit umgesetzt.

Im Rahmen von zwei nationalen politischen Programmen zur Bekämpfung von Langzeitwohnungslosigkeit (PAAVO I und II 2008-2015) haben Städte, Kommunen und Wohnungsorganisationen zunächst Wohnungen gebaut und gekauft, teilweise mit staatlichen Subventionen. In der dritten Stufe, dem „Aktionsplan für die Prävention von Wohnungslosigkeit in Finnland 2016 –2019“, liegen die Schwerpunkte vor allem in dem frühzeitigen Erkennen des Risikos, wohnungslos zu werden sowie einer schnellen Intervention und einer besseren Verknüpfung der Arbeit gegen Wohnungslosigkeit mit der Arbeit gegen soziale Exklusion auf der Grundlage des Wohnung zuerst-Prinzips.

Abwägung der Kosten

Die Kosten des finnischen Aktionsplans liegen schätzungsweise bei 78 Mio. Euro. Der Anteil für Investitionen, d.h. Konstruktion, Beschaffung und Mietpreis von sozialem Wohnraum, liegt bei ca. 54 Mio. Euro, der Anteil für Dienstentwicklung und Koordination beträgt insgesamt ca. 24 Millionen Euro.

Jedoch stehen den hohen Investitionen auch erhebliche Kostenersparnisse gegenüber, von denen die gesamte Gesellschaft profitiert. Beispielsweise hat die in Tampere beheimatete,  auf dem Wohnung zuerst-Modell basierende, soziale Wohnungsdienste anbietende Einheit Härmälä nahezu 250 000 Euro im Jahr eingespart. Weitere Ergebnisse zeigen, dass wenn ein Obdachloser mit Unterstützung eine ordentliche Wohnung bekommt, die Kostenersparnis für die Gesellschaft bis zu 15.000 Euro pro Person und Jahr beträgt.

Helsinki aus der Luft, Foto: Stadt Helsinki/Scanfoto

Besonderheiten der Obdachlosigkeit in Finnland

Mehr als 60 % der Wohnungslosen in Finnland leben im Süden des Landes, insbesondere im Großraum Helsinki. Das größere Arbeitsangebot lockt viele Menschen nach Helsinki oder in die anderen Wachstumszentren in Südfinnland.

Eine weitere Besonderheit ist die Tatsache, dass die meisten Wohnungen nur als Eigentum zu haben sind, das sich nicht jeder leisten kann. Insbesondere im Großraum Helsinki werden viele teure und große Wohnungen gebaut, d.h. das Wohnungsangebot entspricht nicht den Bedürfnissen der durchschnittlichen Bevölkerung.

Y-Stiftung schafft die Wende

1985 wurde die Y-Stiftung gegründet, um die große Wohnungsnot zu lindern. Alle Großstädte Finnlands zählten zu den Gründungsmitgliedern. Die Stiftung sollte zunächst Mietwohnungen aus dem Bestand generieren hauptsächlich für obdachlose Einzelpersonen. Zu der Zeit gab es nahezu 20 000 Wohnungslose, mehr als 95 % davon Alleinlebende und neun von zehn Personen waren Männer.

Zur Zeit der Gründung rührte der Buchstabe Y im Namen der Stiftung von dem finnischen Wort yksin für allein her.  Heute steht der Buchstabe Y für yhdessä, gemeinsam. Er soll auf die, auf breiter Basis ruhende Zusammenarbeit vieler Akteure für die Wohnungslosen sowohl in Finnland als auch international hinweisen. Heute besitzt die Y-Stiftung über 17 300 Wohnungen in mehr als 50 Städten und Gemeinden.

Das Erfolgsrezept Finnlands liegt im breiten politischen Konsens und einer fachübergreifenden Unterstützung. Im Rahmen einer nationalen Anstrengung haben staatliche Ministerien, Großstädte und NGOs  zusammen gearbeitet, um die Obdachlosigkeit zu reduzieren. Daran konnte auch kein Regierungswechsel etwas ändern.

 

Quelle: Y-säätiö (auf Englisch)

Beitragsfoto: Visit Finland/Harri Tarvainen