Tag des Kalevala und der finnischen Kultur

Am 28. Februar wird in Finnland der Tag des Nationalepos Kalevala und der finnischen Kultur gefeiert. Die Feierlichkeiten zum finnischen Nationalepos wurden bereits Ende des 19. Jahrhunderts in den studentischen Kreisen eingeführt.

Im Kalender wird der Tag seit den 50er Jahren als „inoffizieller Beflaggungstag“ geführt. Der Zusatz „Tag der finnischen Kultur“ wurde 1978 eingeführt und seitdem ist der Tag im Zuge einer Gesetzesänderung auch offiziell ein nationaler Feiertag, an dem überall im Land die Flagge gehisst wird.

Das Lebenswerk eines Arztes

Die Entstehungsgeschichte des Kalevala-Tages ist eng mit dem Lebenswerk des Arztes Elias Lönnrot (1802 – 1884) verbunden. Während seiner Reisen nach Karelien hat er uralte Volksdichtung aufgezeichnet und zu dem Epos Kalevala zusammengestellt. Das Vorwort der ersten Auflage des Werkes, des sogenannten Alten Kalevala, ist auf den 28. Februar 1835 datiert. 1849 gab Lönnrot eine zweite erweiterte Fassung heraus. In dieser neuen Fassung wird das Epos seither in Finnland gelesen und auf ihr beruhen auch die meisten Übersetzungen.

Stammeslieder und Heldensagen

Ontrei Wanninen, der letzte Kalevala-Sänger aus Sortavala (1885), Foto: Museovirasto, Knut Sallin

Was ist nun das Kalevala, wovon erzählen die Lieder? Vor ca. 2500 – 3000 Jahren entstand unter den Völkern in der Nähe des Finnischen Meerbusens, den sogenannten Urfinnen, eine eigenständige Gesangsform, deren charakteristische Merkmale Alliteration und Parallelismus sowie das Fehlen von Strophen sind. Das vierhebige, trochäische Versmass dieser Gesänge  wurde in Finnland später als das Kalevala-Versmass bezeichnet. Beim Singen wiesen die Verse meist einen Rhythmus von vier bis fünf Takten auf, und die Melodien bewegten sich in einer Skala von fünf Tönen.

Die ältesten Motive sind in jenen Mythenliedern enthalten, die von der fernen Urzeit und dem Schöpfungswerk, von der Entstehung der Welt und der menschlichen Kultur berichten. Im Mittelpunkt der epischen Lieder steht häufig ein mächtiger Sänger, Schamane oder Seher, der geistige Führer seines Stammes, der Reisen in das Totenreich unternimmt, um sein Wissen zu mehren. Die Helden der Lieder erleben Abenteuer in einem Land jenseits des Meeres. Sie ziehen auf Brautfahrten, Raubzügen und auf der Flucht durch das Reich Pohjola, das Nordland.

Als die lutherische Kirche im Zuge der Reformation die alten Lieder verbot und als heidnisch abtat, drohte die alte Tradition für immer unterzugehen, was ohne den Sammeleifer von Elias Lönnrot wohl auch geschehen wäre. In Weißmeerkarelien ist die Tradition der alten Volksdichtung bis in die heutige Zeit lebendig geblieben.

Ein Tag des Volkes

Die Finnische Literaturgesellschaft hat 1885 zum 50-jährigen Jubiläum des Kalevala ein grosses Fest in der Universtität zu Helsinki veranstaltet. Gleichzeitig wurden an vielen anderen Orten kleinere Feiern organisiert, aber den Status eines nationalen Gedenktages hatte der Kalevala-Tag dennoch nicht erlangt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde unter den schwedischsprachigen Teilen der Bevölkerung der Tag des Nationaldichters Runeberg immer mehr zu ihrem nationalen Feiertag hochstilisiert. Als Gegensatz dazu konzentrierte sich das Interesse der finnischsprachigen Bevölkerung jedoch auf den Kalevala-Tag. Es war ein Tag des Volkes und nicht nur der „besseren Gesellschaft“. Das Kalevala stellte einen Wendepunkt für die finnischsprachige Kultur dar. Das Bewusstsein um eine eigene, Jahrtausende alte Vergangenheit stärkte den Glauben der Finnen an die Möglichkeiten ihrer eigenen Sprache und Kultur.

Worte für ein friedliches Zusammenleben

Im Jahre 1919 wurde die Kalevala-Gesellschaft gegründet, die seitdem die Tradition des Kalevala-Tages pflegt und fördert. Das Nationalepos Kalevala kam wie gerufen, um das Selbstbewusstsein der erst jungen eigenständigen Nation zu stärken. Das Nationalepos bot sowohl während der Weltkriege Motivation für den Kampf um die Unabhängigkeit als auch nach den Kriegen Worte für ein friedliches Zusammenleben.

Die heutigen Feierlichkeiten zum Kalevala-Tag sind dem Zeitgeist angepasst. Im Programm findet man ebenso finnischen Tango und Rockmusik wie auch sehr freie Kalevala-Interpretationen. Jede Generation hat ihr eigenes Kalevala entdeckt. In den 60er Jahren erschien das „Goldene Kalevala der Kinder“ von Aili Konttinen und „Geschichten aus Kalevala“ von Martti Haavio. Der Kinderbuchautor und Cartoonist Mauri Kunnas brachte 1992 das „Hunde-Kalevala“ heraus. 2002 erschien „Finnlands Kinder-Kalevala“ von Kirsti Mäkinen mit Illustrationen der Künstlerin Pirkko-Liisa Surojegin, das sämtliche Geschichten des Kalevala in einer für Kinder leicht verständlichen Erzählweise enthält.

Traditionelle Gerichte bevorzugt

Karelische Piroggen im Spankorb, Foto: Visit Finland

Es gibt keine besonderen Gerichte, die mit dem Kalevala-Tag verbunden sind. An einer festlich gedeckten Tafel können alle traditionellen finnischen Gerichte gereicht werden. In den 30er Jahren empfahlen die Zeitschriften z.B., Tischläufer mit traditionellen geometrischen Mustern zu verwenden. Als Tischdekoration sollten aus Holz und Birkenrinde angefertigte Brotkörbe, Buttergefäße und Salzstreuer verwendet werden.

Das Nationalepos ist mittlerweile in 60 Sprachen übersetzt worden.  Es ist immer noch das am häufigsten übersetzte Werk der finnischen Literatur. Die erste Übersetzung des Neuen Kalevala erfolgte bereits 1852, und zwar in die deutsche Sprache. Drei Kostproben aus dem Kalevala, das Original, eine deutsche Übersetzung von A. Schiefner und M. Buber, neubearbeitet von W. Steinitz aus dem Hinstorff Verlag Rostock 1968 und aus dem „Kalevala op Platt“ von Herbert Strehmel (✝) aus dem Jahr 2001, jeweils aus der Einleitung:

Die Jubiläumsausgabe des Neuen Kalevala mit Illustrationen von Akseli Gallén-Kallela

 

 

Das Schmieden des „Sampo“

Mieleni minun tekevi,
aivoni ajattelevi
lähteäni laulamahan,
saa’ani sanelemahan,
sukuvirttä suoltamahan,
lajivirttä laulamahan.
Sanat suussani sulavat,
puhe’et putoelevat,
kielelleni kerkiävät,
hampahilleni hajoovat.

♦ ♦ ♦

Werde von der Lust getrieben,
Von dem Sinne aufgefordert,
Dass ans Singen ich mich mache,
Dass ich an das Sprechen gehe,

Dass des Stammes Lied ich singe,
Jenen Sang, den hergebrachten.

Der alte weise Väinämöinen von Akseli Gallén-Kallela

Worte schmelzen mir im Munde,
Es entschlüpfen mir die Töne,
Wollen meiner Zung enteilen.

♦ ♦ ♦

Mi verlangt nu in mien Sinnen,
Mi bewegt nu de Gedanken,
An dat Singen mi to maken,
mi to’n Spreken antoschicken,
antostimmen Stammeswiesen,
Sippenleed nu antofangen.
De Wörder smölten in mien Mund,
Un Märkens fallen ut mi rut,
se jagen so to op mien tung,
Delen sik denn an mien Tehnen.

 

Weitere Informationen: Finnische Literaturgesellschaft (SKS)

 

Beitragsfoto oben: Visit Finland