J.L. Runeberg und Fähnrich Ståls Erzählungen
Der 5. Februar, der Geburtstag von Johan Ludvig Runeberg, wird in Finnland alljährlich mit diversen Literaturveranstaltungen gefeiert. Runeberg war ein finnlandschwedischer Dichter, Journalist und Professor, der durch seine Werke zum Nationaldichter Finnlands wurde.
Das wohl bekannteste Werk von Johan Ludvig Runeberg sind die „Erzählungen des Fähnrich Stål“ (Vänrikki Stålin tarinat), eine Sammlung heroischer Gedichte, die den Finnischen Krieg beschreiben. In der Einleitung befindet sich eine Huldigung an das Vaterland, „Unser Land“. Das Gedicht wurde später von Frederic Pacius, einem gebürtigen Hamburger Musiker, vertont und ist heute die Nationalhymne Finnlands.
Erwachen des nationalen Bewusstseins
Der Finnische Krieg, wie der schwedisch-russische Krieg meist genannt wird, war ein verlustreicher Krieg des schwedischen Königreichs gegen das russische Zarenreich in den Jahren 1808-1809. Die Protagonisten der epischen Heldenballaden von Runeberg sind sowohl reale Offiziere als auch fiktive finnische Soldaten. Sie haben pflichtbewusst ihr Vaterland verteidigt, das allerdings noch keine eigenständige Nation war, sondern ein Teil des schwedischen Königreichs. Runebergs Werk brachte das Erwachen des nationalen Selbstbewusstseins der Finnen zum Ausdruck und verstärkte es sogar in den 1840er Jahren. Es ist eines der zentralen und am meisten gelesenen Werke der finnischen Literaturgeschichte, denn es war viele Jahrzehnte lang Pflichtlektüre des muttersprachlichen Unterrichts in finnischen Schulen.
Das Werk besteht aus 35 Gedichten. Neben dem ersten Gedicht des ersten Bandes, Maamme (Vårt land), das die heutige Nationalhymne ist, ist insbesondere der Text des Marsches „Porilaisten marssi“ sowie die Geschichte des einfachen Soldaten Sven Dufva bekannt.
Moralische Sieger
Im Laufe des finnischen Krieges neigte sich die Mehrheit der finnischen Verwaltung und der Stände sehr bald dazu, sich mit der Angliederung Finnlands an das zaristische Russland anzufreunden. Der damals noch zur jüngeren Generation zählende Runeberg hatte jedoch eine eher kritische Haltung dem gegenüber. Der schwedische Kriegshistoriker Gustaf Montgomery hat in seinem 1842 erschienen Werk über den schwedisch-russischen Krieg festgestellt, dass die Soldaten der damaligen schwedischen Armee bereit gewesen wären, zu kämpfen und sich für ihr Vaterland zu opfern, die schwache Regierung und Kriegsführung jedoch schuld an der Niederlage waren. Auch andere Kriegshistoriker haben die Soldaten des Finnischen Krieges als moralische Sieger hochstilisiert. Diese und Montgomerys Werk waren die wichtigsten Quellen für die Gedichte Runebergs und er war davon überzeugt, dass in den Jahren 1808-1809 das finnische Volk mehr vaterländisch geprägt war als seine Führungselite.
Der rote Faden
Den Rahmen für das Werk „Fähnrich Ståls Erzählungen“ bildet das zweite Gedicht des ersten Bandes mit dem Titel Vänrikki Stool (Fänrik Stål). Der Ich-Erzähler ist ein junger Student, der als Privatlehrer in einer ländlichen Gegend arbeitet und den alten Fähnrich Stål, ein Veteran des Finnischen Krieges, kennenlernt. Er erzählt dem Studenten Geschichten aus dem Krieg und die letzte Strophe gibt zu verstehen, dass alle Gedichte des Werkes auf den Erzählungen des alten Mannes beruhen:
Ja ukon suust‘ on tarutkin
ne, joita laulan tässä.
Niit‘ usein öisin kuuntelin
pärehen liekinnässä.
Ne korutont‘ on kertomaa,
ne ota, kallis synnyinmaa!
Übersetzung (Dr. Angela Plöger):
Und aus dem Mund des Alten stammen
die Lieder auch, die ich hier singe.
Wie oft hab‘ ich sie des Nachts gehört
im Schein des Kienspans, seiner Flamme.
Wie schlicht ist ihre Botschaft doch,
nimm sie entgegen, teure Heimat!
Ein immer wiederkehrendes Thema des Werkes von Runeberg, das ihm ganz offensichtlich auch sehr am Herzen lag, ist die aufrichtige Vaterlandsliebe der armen Bevölkerung und das daraus resultierende Glücksgefühl, das ihr armseliges Dasein kompensiert.
Einflussreiches literarisches Werk
Es heißt oft, dass die Erzählungen des Fähnrich Stål seit ihrer Veröffentlichung bis zum Zweiten Weltkrieg das einflussreichste literarische Werk wegen seiner ideellen und politischen Wirkung gewesen sei. Seine politische Nutzung verlieh dem Werk im Laufe der Jahre eine enorme Bedeutung. Allerdings hat Runeberg immer nur fiktive Erzählungen geschrieben, eine objektive geschichtliche Darstellung war nicht sein Ziel. Die Tonart ist konservativ patriotisch, jedoch mit viel Humor gespickt. Sie haben entscheidenden Einfluss auf die Bildung des bis heute sehr stark ausgeprägten Vaterlandgefühls der Finnen und dessen neuhumanistische Orientierung gehabt.
Insbesondere während der sogenannten Unterdrückungsjahre (1899–1905 und 1908–1917) wurde oft auf die Erzählungen Bezug genommen. Im Bürgerkrieg Finnlands (1918) wurden Runebergs Gedichte insbesondere für die Propaganda der sogenannten Weißen benutzt. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurden sie zu zentralen Symbolen des weißen Finnlands. Auch die freiwillige, paramilitärische Hilfsorganisation von Frauen, die Lotta Svärd -Organisation, wurde nach einem Gedicht aus Runebergs Werk benannt. In der südfinnischen Stadt Pietarsaari
wurden sogar Straßen im Stadteil Lontoo nach Figuren aus Fähnrich Ståls Erzählungen benannt. In den Jahren 1910 bis 1958 wurden fünf Filme auf der Grundlage des Werkes gedreht.
Passend zum Runeberg-Tag tauchen in den Geschäften und Konditoreien in Finnland auch die Runeberg-Törtchen auf. Rezepte gibt`s hier: mit und ohne Schuss.