J.K. Paasikivi – Architekt der finnischen Nachkriegspolitik

Vor 150 Jahren wurde Juho Kusti Paasikivi geboren, der von 1946 bis 1956 Staatspräsident von Finnland war. Im Jubiläumsjahr wird einer der zentralen finnischen Persönlichkeiten der Nachkriegszeit gedacht.

J.K. Paasikivi, Foto:VNK/Markku Lempinen

Unter seiner Führung hat Finnland seine Beziehungen zum ehemaligen Kriegsfeind Sowjetunion aufgebaut und stabilisiert. Paasikivi verfolgte eine realpolitische Linie, bei der ein freundschaftliches Verhältnis als unumgänglich betrachtet wurde. In seinen privaten Tagebüchern hat Paasikivi allerdings seine kritische Haltung dem östlichen Nachbarn gegenüber festgehalten, was viel Aufsehen erregte, als seine Tagebücher in den 1980er Jahren öffentlich zugänglich wurden.

Paasikivi hat während beider Weltkriege in leitenden Funktionen gewirkt. Er war der zweite Außenminister des unabhängigen Finnlands und später Ministerpräsident dreier Regierungen. Zum Präsidenten wurde er 1946 ernannt, als sein Vorgänger Carl Gustav Emil Mannerheim zurücktrat.

An seinem 150. Geburtstag, am 27. November 2020, fand eine feierliche Kranzniederlegung auf dem Hietaniemi-Friedhof in Helsinki statt. In der Jubiläumsveranstaltung sagte der jetzige Präsident, Sauli Niinistö, in seiner Festrede, dass es ein wesentliches Merkmal der Staatsräson ist, die Auswahl der jeweiligen Mittel anpassen zu können, wenn es dem Vorteil des Landes und dem Erreichen seiner Ziele dient. Niinistö stellte außerdem fest, dass die von Paasikivi definierten wichtigsten Aufgaben der finnischen Staatspolitik sich im Laufe der Jahre nicht verändert haben: die Unabhängigkeit des Landes und die Demokratie sicherzustellen.

Der junge Paasikivi

Juho Kusti Paasikivi wurde am 27.11.1870 als Johan Gustaf Hellstén, Sohn eines fliegenden Händlers aus Tampere geboren. Die Vornamen wurden bald im familiären Kreis zu Juho Kusti „eingefinnischt“, den Familiennamen hat er während seiner Zeit auf dem Gymnasium in Hämeenlinna gemäß dem zu derzeit aufkeimenden finnischen Zeitgeist in Paasikivi geändert.

Juho Kusti Paasikivi war ein sehr guter Schüler, er schloss das Gymnasium mit Bestnoten ab.  Neben den obligatorischen Fremdsprachen Schwedisch und Latein legte er außerdem eine Abiturprüfung in Russisch und Französisch ab, allesamt mit der höchsten Note Laudatur. Im Abschlusszeugnis war außerdem die Fremdsprache Deutsch mit der Bestnote 10 aufgeführt. Seine Deutschkenntnisse konnte er während eines Aufenthaltes an der Universität Leipzig im Sommer 1899 noch verbessern. Englischkenntnisse wurden zu der Zeit nur im Exportgeschäft benötigt, so dass er sich erst im reiferen Alter die Sprache aneignete.

Nach dem Abitur begann er sein Studium an der Kaiserlichen Alexander Universität in Helsinki. In nur zwei Jahren hat er ein Studium der russischen Sprache und Literatur sowie der Geschichte mit einem Magister abgeschlossen. Die enorme Leistung lässt sich nur mit seinem großem Arbeitseifer und Begabung erklären. Danach studierte er noch Jura und promovierte schließlich im Jahr 1901.

Während seines Studiums war Paasikivi sehr aktiv in der studentischen Verbindung der Region Häme (Hämäläisten osuuskunta). Die nach der jeweiligen Herkunftsregion der Studenten aufgeteilten Verbindungen gaben den Studenten zu der Zeit den Rahmen für ihren gesellschaftlichen, ideologischen und kulturellen Reifeprozess und bildeten eine wichtige Grundlage für die Vernetzung im späteren beruflichen Werdegang. Hier lernte er auch seine Ehefrau Anna Forsmann kennen, mit der er später vier Kinder hatte.

Der umtriebige Influencer

J.K. Paasikivi hat sich schon in sehr jungen Jahren in gesellschaftspolitische Diskussionen eingemischt. Bereits als Gymnasiast hielt er eine Rede, in der er die Gründung einer Volksakademie (kansalaisopisto) in seiner Heimatstadt Lahti befürwortete. Die studentischen Kreise unterstützten eine damals aktuelle Bewegung, deren Zielsetzung es war, ein Bildungsnetzwerk zur Förderung des nationalen Bewusstseins und der praktischen Bildung der breiten Bevölkerung aufzubauen. Paasikivi wirkte auch maßgeblich bei der Gründung der ersten Gemeinschaftsschule und einer neuen, moderneren Volksschule in Lahti kurz vor der Jahrhunderwende mit. Bildung und die Anliegen der Landbevölkerung im Allgemeinen waren für Paasikivi stets wichtig. Noch in den 1950er Jahren soll Paasikivi im Rahmen eines Interviews betont haben, welche grundlegende Bedeutung die Stärkung des nationalen Bewusstseins und die Verbesserung des allgemeinen Bildungsniveaus der Bevölkerung für den Lauf der Ereignisse im Finnland der Jahrhundertwende hatten.

Die ideologischen Spannungen, der Sprachenstreit und die aufkeimenden sozialpolitischen Forderungen und Erwartungen gaben die Richtung vor für die Meinungsbildung des jungen, politisch interessierten Paasikivi im Finnland der Jahrhundertwende. Das Postmanifest des Jahres 1890, mit dem Kaiser Alexander III das bis dahin autonome Postwesen Finnlands dem des russischen Kaiserreiches unterstellte und das von den Finnen als ein Vorbote für weitere Eingliederungs- und Unterdrückungsmaßnahmen betrachtet wurde, riss dann endgültig die Dämme nieder für das politische Gären innerhalb der finnischen Gesellschaft.

1890 war auch das Jahr, in dem Paasikivi sein Studium der russischen Sprache und Geschichte begann. Während eines längeren Studienaufenthaltes in Novgorod konnte er seine Sprachkenntnisse verfestigen und lernte die russische Gesellschaft und Lebensart mit all ihren Eigenarten und Widersprüchen sehr gut kennen. Diese Fähigkeiten bildeten dann auch die Basis für seine spätere politische Karriere, die viele Berührungspunkte mit dem östlichen Nachbarn aufwies.

Der konservative Politiker

Paasikivi war aktives Mitglied der Finnischen Partei, später Altfinnen (Vanhasuomalaiset) genannt. Die Partei verfolgte eine eher gefügige und zu Kompromissen bereite Politik in Bezug auf die Russifizierung Finnlands. Aber auch die Gefügigkeit hatte Grenzen für Paasikivi.

Nach seiner Dissertation war Paasikivi weniger mit Politik als mit juristischen und wirtschaftlichen Aufgaben beschäftigt. Dennoch genoss er ein hohes Ansehen innerhalb seiner Partei und wurde dann auch sehr früh als Kandidat für ein Ministeramt, damals Senator, gehandelt und schließlich zum „Oberdirektor“ (ylitirehtööri) des dem Finanzministerium unterstellten Staatskontors ernannt. Die Altfinnen traten seit 1904 für innenpolitische Reformen ein und brachten ein allgemeines und gleiches Wahlrecht ins Gespräch. Die revolutionären Ereignisse des Jahres 1905 führten zu einer Parlamentsreform, die das allgemeine Wahlrecht zu einem Einkammerparlament mit sich brachte. Moderne politische Parteien bildeten sich und Finnland war damit das erste Land in Europa, in dem Frauen auf nationaler Ebene wählen durften.

Die Altfinnen erzielten bei den ersten Wahlen zum Einkammerparlament ein gutes Ergebnis und Paasikivi wurde Mitglied des Parlaments. Seine thematischen Schwerpunkte lagen auf den Anliegen der Landbevölkerung, dem kommunalen Stimmrecht, der Alkoholprohibition und später dem Bankensektor. 1908 wurde Paasikivi zum Finanzminister (finanssisenaattori) ernannt. In der Zeit der Unabhängigkeitsdeklaration Finnlands war er einer der Unterstützer der Monarchiebestrebungen Finnlands, die durch den Verlauf des I Weltkrieges allerdings im Sande verliefen. 1918 wurde er Mitglied der Nachfolgerpartei der Altfinnen, der heutigen Versammlungspartei (Kokoomus). Paasikivi war Ministerpräsident von drei Regierungen und Botschafter Finnlands in Stockholm und Moskau (1940-1941).

Als Marschall Mannerheim 1944 zum Staatspräsidenten Finnlands gewählt wurde, war er bereits ein alter, von Krankheit und Sorgen geplagter Mann. Trotz seiner nahezu mythischen Popularität blieb er als Präsident im Schatten des damaligen Ministerpräsidenten Paasikivi. 1946 trat er von seinem Amt zurück und Paasikivi wurde für die restliche Periode als Nachfolger ernannt. 1950 ging er dann aus der Präsidentschaftswahl unter normalen Bedingungen als überragender Sieger hervor.

In der zweiten Präsidentschaftsperiode konnte Paasikivi die Früchte seines politischen Wirkens ernten. Paasikivi eröffnete die Olympischen Spiele in Helsinki 1952, die für Finnland auch eine politische Dimension hatten. Die Sowjetunion nahm zum ersten Mal an den Spielen teil und Finnland wurde als ein neutrales Land wahrgenommen, in dem Religion, Herkunft und politische Ansichten keine Bedeutung hatten. 1952 konnte Finnland auch die Last der Kriegsreparationen endgültig loswerden, was eine große wirtschaftliche und mentale Entlastung für das Land darstellte.

Nach dem Tod von Stalin und der damit einhergehenden Entspannung eröffneten sich für Paasikivi mehr außenpolitische Freiräume. Finnland wurde 1955 Mitglied des Nordischen Rates und der Vereinten Nationen. Der Höhepunkt seiner Ära war die Reise nach Moskau im Herbst 1955 zur Unterzeichnung der Vereinbarung über die Rückgabe der Porkkala-Region an Finnland.

Quellen:

YLE

J.K. Paasikivi-Gesellschaft

Finnlands Nationalbiographie

 

Beitragsfoto oben: J. K. Paasikivi mit seiner zweiten Ehefrau Alli 1945, F.E. Fremling/CC BY4.0