POTPURI – Interkulturelle Impressionen aus Turku

“Keväääät!” – “Frühling!”  Oder: Selbst der strengste Winter hat Angst vor dem Frühling.
In meinem letzten Blogbeitrag habe ich über den Erdbeer- und Blaubeerenanteil in meinem deutsch-finnischen Leben geschrieben. Wie sieht es mit diesen Anteilen bezüglich der Jahreszeiten aus?

In mancher Hinsicht hat mich Finnland jahreszeitenmäβig in den ersten Jahren in die Knie gezwungen – was winterliche Glätte angeht, sogar im konkreten Sinne😉.

Tatsache ist, dass ich die Jahreszeiten sehr viel bewusster erlebe als vorher. Ich musste mich überraschend viel mit Thematiken wie klimagerechter Kleidung und sonstiger Winterausrüstung beschäftigen – und zwar “durch die Ferse” (finn. kantapään kautta), wie man in Finnland sagt, sprich: Ich musste  durchaus Lehrgeld zahlen. So erlebte ich zum Beispiel während so einiger Autofahrten, was schwarzes Eis bedeutet, als ich wie von Geisterhand Richtung Straβengraben glitt.

Heutzutage rate ich jedem Zuziehenden zu einem Winterfahrkurs, gern auch inklusive Elchtest – hier gemeint als Übung zwecks strategisch richtigem Ausweichen, wenn der König des Waldes die Fahrbahn überraschend überquert. Im Schnitt ereignen sich in Finnland rund um´s Jahr ganze 2000 Elchunfälle, leider des öfteren auch mit tödlichem Ausgang.

Das Sägenphänomen

Um ehrlich zu sein, gingen in meinem deutschen Leben die Jahreszeiten oft etwas sang- und klanglos ineinander über. Kleidungsmäβig war ich oft nach dem Zwiebelprinzip unterwegs, bei Bedarf wurde die Kleiderschichtzahl halt erhöht. Ich bin zu Zeiten in NRW groβgeworden, in denen man an Wintermorgenden gespannt auf die Radioansage wartete, die den Ausfall des Schulunterrichts im Regierungsbezirk Münster wegen Glatteises bestätigte.

Wäre das in Finnland der Fall, so gäbe es heutzutage den PISA- Bildungstourismus in dieser Form garantiert nicht, denn Schule würde im Winter nur selten stattfinden und das Bildungsniveau entsprechend sinken. Das hierzulande viel zitierte “Sägenphänomen” (finn. “sahailmiö”) prägt zumindest den Winter in Südwestfinnland: Nächtliche Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt wechseln sich in heiterer Eintracht über Wochen mit Plustemperaturen am Tag ab. Ohne Spikes sowohl an Auto-und Fahrradreifen als auch unter dem Schuhwerk ist man aufgeschmissen und die Krankenhäuser verzeichnen Unmengen an Knochenbrüchen.

Schmunzelnd denke ich an meine ersten Jahre in Finnland zurück, in denen ich den Winter recht unbedarft auf mich zukommen lieβ und mir unter dem Phänomen” takatalvi” ( übersetzt so etwas wie “Rückwinter”) noch nichts Konkretes vorstellen konnte – bis ich mich wiederholt gezwungen sah, die in optimistischer Stimmung bereits ausgelagerten Wintersachen wieder aus den Schränken hervorzuholen.

Die Leichtigkeit des Frühlings

An der Theaterbrücke am Aura-Fluss blühen bereits die Narzissen. Foto: Birgit Griese-Saarinen

Geduld und Langmut sind also in diesen Gefilden gefragt – und nicht unbedingt meine Stärke. Der Spruch “Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht” erinnert mich oft daran, dass sich die Natur nicht durch Ungeduld irritieren lässt. Der Mangel an Frühblütlern und der Neid auf die deutschen FreundInnen, die bereits im März Fotos von Krokussen und Narzissen posten, kann durch den Kauf von Tulpen ganz gut kompensiert werden.

Ich hab auch einige Jahre gebraucht, um finnische Frühlingsankündigungen richtig bewerten zu können. Hieβ es hier von allen Seiten “Der Frühling kommt!”, schaute ich mich verduzt um und konnte kaum Anzeichen dafür entdecken. Doch auch diese sind hoch im Norden ANDERS!

Wenn der Schnee letztendlich weicht, die ersten Vogelstimmen ertönen und der Huflattich unter Erde und Laub hervorlugt, erweckt dies heutzutage nicht nur eine Riesenfreude  über den Frühlingsanfang, sonder nauch Erinnerung an Ronja Räubertochters Frühlingsschrei!

“Kevääääät! – Frühling“!! Dieser Ausruf während einer Theaterinszenierung  in den Ruinen von Piispanlinna auf der Insel Kuusisto vor vielen Jahren hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen und ist in jedem Frühjahr komplettiert mit folgendem Zitat von Astrid Lindgren auf´s Neue gegenwärtig:

Alle Bäume und alle Wasser und alle grünen Büsche waren voller Leben, von überall her erscholl das starke, wilde Lied des Frühlings. „Hier stehe ich und spüre, wie der Winter aus mir herausrinnt“ sagte Ronja. „Bald bin ich so leicht, dass ich fliegen kann.“

(aus: Ronja Räubertochter)

Diese Leichtigkeit stellt sich mittlerweile auch bei mir jedes Jahr ein, wenn der zugegebenermaβen lange Winter inklusive Rückwinter-Eskapaden hinter mir liegt und sich Nachtfrosttemperaturen und gleiβende, wärmende Sonne ein ausführliches Stelldichein gegeben haben.

Die langen hellen Tage spenden Energie

Man hat tatsächlich das Gefühl, etwas vollbracht und überstanden zu haben und wendet sich mit vollem Elan dem Neuen zu.  Nicht nur die Natur ist im Aufbruch, auch die Menschen sind es. Die hellen langen Tage spornen zu Frühlingsputz und Unternehmungen an, es herrscht quirlige Geschäftigkeit. Man wird von Licht überflutet und braucht etwas Zeit, um diesen krassen explosionsartigen Jahreszeitwechsel zu verstehen.

Spätestens wenn die Theaterbrücke in Turku mit hunderten von Narzissen bepflanzt ist und die Kirschbäume am Ufer des Auraflusses blühen, kann man sicher sein, dass sich der Frühling durchgesetzt hat. Selbst der strengste Winter hat Angst vor dem Frühling, berechtigterweise.

In diesem Sinne – Frühlingsgrüβe aus Turku!

Birgit

 

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Das Interview mit Birgit

 

Text und Fotos: ©Birgit Griese-Saarinen, Fideco