Skandinavien ist Vorreiter bei der Geschlechtergerechtigkeit

Die neueste Studie der Organisation Equal Measures 2030 (EM 2030) zeigt, in welchen Ländern die Situation der Frauen besonders dramatisch und wo es zur Gendergerechtigkeit nicht mehr weit ist.

Die Studie EM 2030 macht die Geschlechtergerechtigkeit weltweit messbar. Die verschiedenen Facetten von Ungleichheit werden in einem Index von 0 bis 100 erfasst: je niedriger der Wert, desto mehr werden Frauen benachteiligt. Ab einem Wert von 90 gilt der Stand der Geschlechtergerechtigkeit als „exzellent“ – bis heute erreicht kein einziges Land diese Stufe.

Ganz oben auf der Skala sind Dänemark (89,3), Finnland (88,8), Schweden (88,0) und Norwegen (87,7). Deutschland liegt mit 86,2 Punkten auf Platz 7. Am Ende der Liste, die weltweit 129 Länder erfasst, stehen Indien (56,2), DR Kongo (38,2) und Tschad (33,4). Das erschütternde Ergebnis der Studie: 80 Prozent der Frauen und Mädchen weltweit leben in Ländern, denen EM 2030 einen schlechten oder sehr schlechten Stand der Geschlechtergerechtigkeit attestiert.

Finnische Frauen erkämpften sich schon früh ihre Rechte

In Finnland hat die Idee der Gleichberechtigung der Geschlechter eine lange Tradition. Die ersten Schritte in diese Richtung wurden bereits vor der Erlangung der nationalen Unabhängigkeit gemacht. Bereits in den 1850er Jahren haben finnische Frauenrechtlerinnen Schriften von John Stuart Mill gelesen und die Ansicht vertreten, dass auch junge Mädchen Zugang zur höheren Bildung haben sollten. Die ersten Frauenrechtsorganisationen wurden dann in den 1880er Jahren gegründet. Im Jahre 1873 legte die erste finnische Frau erfolgreich die Abiturprüfung ab und seit 1901 dürfen Frauen an finnischen Universitäten studieren.

Erste Parlamentarierinnen der Welt

Miina Sillanpää 1907 im finnischen Parlament.
Foto: Museovirasto/J.Indursky

Doch bevor die finnischen Frauen als erste weltweit die vollen politischen Rechte, d.h. das aktive und das passive Wahlrecht, erlangten, musste viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Nach den ersten Parlamentswahlen Finnlands im Jahre 1907 begannen 19 Volksvertreterinnen ihre politische Karriere im frisch gegründeten Parlament des damals noch autonomen Großherzogtums im russischen Zarenreich. 1926 wurde Miina Sillanpää zur ersten finnischen Ministerin ernannt, im gleichen Jahr wurde auch ein Gesetz erlassen, das den Frauen den Zugang zu staatlichen Ämtern ermöglichte, d.h. die ersten finnischen Beamtinnen wurden etabliert.

Finnische Frauen wurden unabhängig

Das im Jahre 1930 erlassene neue Ehegesetz befreite die Frauen endgültig aus der Obhut ihrer Ehemänner. Allerdings durften verheiratete Frauen in Finnland bereits seit 1919 einem bezahlten Beruf nachgehen, ohne ihre Ehemänner um Erlaubnis bitten zu müssen. In Deutschland wurde das entsprechende Gesetz erst 1977 geändert!

Während der Kriegsjahre mussten die finnischen Frauen die Gesellschaft und das  Wirtschaftsleben am Laufen halten. Aber auch danach wollten sie lieber aktiv zum Familieneinkommen beitragen und blieben so dem Arbeitsmarkt erhalten. Damit hatte sich die Berufstätigkeit der Frauen in Finnland etabliert und ist ein Teil der Normalität geworden.

Die Erwerbstätigkeit der Frauen hat sicherlich stark dazu beigetragen, dass es seit 1948 für alle Grundschülerinnen und –schüler in Finnland ein kostenloses Mittagessen in der Schule gibt.

Gleichstellungspolitik wird durch Gesetze und Abkommen gefestigt

Im Finnland der 1970er Jahre rückte die Gleichstellung der Geschlechter immer stärker in den Fokus der politischen Entscheidungen: das erste Elternzeitsystem wurde eingeführt, Homosexualität wurde entkriminalisiert und die ersten Frauenhäuser entstanden als Reaktion auf die immer noch herrschende hohe häusliche Gewalt gegen Frauen.

Seit 1980 gibt es in Finnland ein Gleichstellungsprogramm der Regierung. Gemäß des neuen Namensgesetzes durften Frauen bei Eheschließung ihren Namen behalten und für das gemeinsame Kind konnte man den Nachnamen beider Elternteile wählen. Auch die ersten Pastorinnen wurden in den 1980er Jahren für den kirchlichen Dienst ordiniert. Elisabeth Rehn wurde 1990 erste finnische – und auch weltweit erste weibliche  – Verteidigungsministerin.

Noch sind wir nicht am Ziel

Die Diskussion um die Gleichstellung der Geschlechter ist heute vielschichtiger und differenzierter geworden. Themen wie Abbau von Geschlechterstereotypien sowie Analysen des Femininen und Maskulinen sind aktuell, die Geschlechterrollen und –vorbilder haben sich verändert.

Den Autorinnen und Autoren der Studie zufolge gibt es auch in den Staaten an der Spitze der Rangliste noch Verbesserungsbedarf hinsichtlich der Geschlechtergleichheit z.B. im öffentlichen Dienst, der Bezahlung, der Gewaltprävention und der Mitbestimmung von Frauen in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Das Fazit des Reports: „Kein Land hat die letzten Meter auf dem Weg zur Geschlechtergleichstellung erreicht.“

 

EM 2030 –Report auf Englisch

Foto oben: Visit Finland/Messukeskus