Jungen in Jukola wie Sterne im großen Bär – die sieben Brüder

Vor 150 Jahren erschien das Hauptwerk von Aleksis Kivi, Die sieben Brüder. Zunächst als vier einzelne Hefte, später als ein gebundenes Buch war es der erste bedeutende Roman, der in finnischer Sprache publiziert wurde.

Als Aleksis Kivi sein erstes Theaterstück Kullervo 1864 veröffentlichte, war er ein völlig unbekannter Schriftsteller. Aber er hatte eine Vision: er wollte einen finnischsprachigen Roman über das Leben von sieben Männern auf dem Lande schreiben. Ein sehr wagemutiges Unterfangen in einem Land, in dem bis zu dem Zeitpunkt so gut wie gar nichts in finnischer Sprache veröffentlicht worden war.

Mühsamer Start

Aleksis Kivi hatte zunächst Glück, denn als sein Werk über das Leben der sieben Brüder von Jukola 1869 fertiggestellt war, hat die finnische Literaturgesellschaft „Suomalaisen Kirjallisuuden Seura“ (SKS) entschieden, den Roman im Rahmen der neuen Bücherreihe „Novellikirjasto“ (Novellenbibliothek) in Form von vier Heften im Jahr 1870 zu veröffentlichen. In der sehr ermutigenden Begründung hieß es: „Zu den brillanten und wertvollen Eigenschaften des Werkes zählt die eigenwillige und geniale Darstellung des Volkscharakters, welcher bisher in unserer Literatur noch nicht zum Vorschein gekommen ist. – – Zum größten Verdienst des Autors muss jedoch seine geniale und realitätsgetreue Charakterisierung der Protagonisten gezählt werden.“

Zu einem völlig entgegengesetzten Urteil gelangte der angesehene Professor für die finnische Sprache an der Kaiserlichen Alexander Universität, heute Universität Helsinki, August Ahlqvist. Seine eiskalte Einschätzung: „Das ist nun der armselige, kindische und lächerliche Inhalt des auf 21 dichbedruckten Seiten erschienenen Romans. Aus dem Vorangegangenen geht hervor, dass die Handlung nicht einen Hauch von einem roten Faden hat. Ebenso wenig findet man in ihm Charakterdarstellungen. Diese sieben Brüder, wie auch alle weiteren Personen des Romans sind lediglich Schatten, die alle auf die gleiche Art und Weise sprechen und handeln“

Nach dieser vernichtenden Kritik hat die Literaturgesellschaft SKS die noch nicht verkauften Exemplare der Hefte vom Markt genommen. Gleichzeitig wurden auch die Pläne begraben, das Werk als ein gebundenes Buch zu veröffentlichen.

Aleksis Kivi hatte jedoch auch Unterstützer. Der Historiker und Kunstkritiker Prof. Fredrik Cygnaeus, Aleksis Kivis guter Freund und Theaterdirektor Kaarlo Bergboom sowie der Dichter und Literaturwissenschaftler Prof. Julius Krohn haben ihre ganze Autorität und ihren Einfluss als Fürsprecher des Werkes in die Waagschale geworfen und letztendlich die Veröffentlichung des Romans in gebundener Form im Jahr 1873 ermöglicht. Für Aleksis Kivi allerdings zu spät, denn er starb 1872 mittellos und psychisch krank im Haus seines Bruders Alpert in Tuusula.

Altmodisch aber witzig

Die Aleksis Kivi-Statue in Nurmijärvi, Foto: Museumsamt

Aleksis Kivis Schreibstil vereint lebenslustige Volkstümlichkeit, Humor und Nationalromantik. Der Schreibstil wirkte bereits in den 1860er Jahren altmodisch. Kivi lehnte sich nämlich sehr stark an die Sprache der Bibelübersetzung aus dem Jahr 1776 an, die ihm sehr vertraut war. Deshalb klingen die Sätze von Kivi oft sehr feierlich, die vielen Wiederholungen, die auch aus dem Nationalepos Kalevala bekannt sind, verstärken noch den Eindruck.

Aleksis Kivi benutzt den feierlich wirkenden Schreibstil auch als humoristisches Hilfsmittel. Er beschreibt alltägliche Dinge oft sehr würdevoll mit Hilfe von sprachlichen Bildern. Ein schönes Beispiel davon ist die Feststellung von Aapo, als er das Lesenlernen aufgibt: „Ich habe mein Bestes gegeben, aber vergeblich. Doch jetzt bin ich auch einmal zornig und werfe das Ruder unserer Lebensbarke dem Schicksal in die Hand.“ (Originaltext: ”Olenpa koettanut parastani, mutta turhaan. Nyt suutun kuitenkin kerran ja heitän elomme haaksen perämelan kohtalon kouraan.”) Die Normen der finnischen Schriftsprache hatten sich im 19. Jahrhundert noch nicht endgültig gefestigt, auch der schwedische Einfluss war damals noch sehr deutlich zu erkennen.

Der Roman lebt von deftigen Dialogen. Kivi war seiner Zeit weit voraus, als er die Brüder von Jukola so reden ließ, wie die einfachen Menschen vom Lande es zu der Zeit taten. Es wird geflucht, geschimpft und palavert, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Für viele Zeitgenossen war der Sprachstil des Romans viel zu roh. Als Teile des Romans in die Schulbücher des 20. Jahrhunderts aufgenommen wurden, mussten viele Begriffe und Flüche entfernt werden, um die Kinder vor schlechten Vorbilder zu bewahren. Für den Leser von heute sind die lebhaften Dialoge der Brüder eines der besten Elemente des Romans.

Kurzfassung des Romans

Das Haus Jukola liegt in Häme am Fuße des fiktiven Berges Impivaara. Der bei einer Bärenjagd tödlich verunglückte Vater hat den Bauernhof in einem schlechten Zustand hinterlassen und die Mutter muss sich alleine um den Hof und die sieben wilden Kinder kümmern. Der älteste der Brüder heißt Juhani, danach kommen die Zwillinge Tuomas und Aapo, Simeoni und die Zwillinge Timo und Lauri. Eero ist der Jüngste der Gebrüder.

Nach dem Tod der Mutter führen die mittlerweile jugendlichen Brüder ein ungezügeltes Lotterleben in Jukola. Der ruhige und vernünftige Aapo kann jedoch seine Brüder davon überzeugen, dass die Arbeit auf dem Hof erledigt werden muss und dass alle auch unbedingt lesen lernen müssen, damit aus ihnen mündige Bürger werden. Die Brüder sehen es ein und gehen gemeinsam zum „lukkari“, dem Küster des Dorfes zum Unterricht. Zu der Zeit war in Finnland das Lesen eine Voraussetzung, um heiraten zu können. Das Lernen fällt den Brüdern sehr schwer, allein Eero kann schließlich lesen, der Rest kämpft noch mit dem ABC.

Die strenge und sehr grobe Art des Lehrers gefällt den Jungen nicht und so beschließen sie, ihre Schulkarriere zu beenden und türmen durch das Fenster tief in den Wald zum Sonnimäki. Ziellos leben die sieben Brüder in den Tag hinein, geraten in Raufereien mit anderen Jungendlichen der Gegend, verfallen dem selbstgebrannten Schnaps, bauen sich in Impivaara ein zweites Haus, das aber nach einer wilden Rauferei niederbrennt. Sie lassen sich jedoch nicht entmutigen, bauen ein neues Haus, bestellen die Felder und nehmen ihre Lesebemühungen erneut in Angriff.

Nachdem auch der langsamste der Brüder, Juhani, das Lesen endlich beherrscht, gehen sie gemeinsam zum Propst, um ihre Lesekünste unter Beweis zu stellen und konfirmiert zu werden. Sie bestellen fleißig ihre Felder und bauen das Haus weiter aus. So vollbringen sie schließlich den Wandel von einer Truppe grober Raufbolde zu angesehenen Bürgern, finden Ehefrauen und gründen Familien. Das Buch endet mit einer großen gemeinsamen Weihnachtsfeier.

Späte Anerkennung

Foto: SKS

Die Geschichte von der wilden „Saubande“ kann als eine Allegorie auf den mühsamen Weg des finnischen Volkes von primitiven Jägern zu bildungshungrigen, fleißigen Landwirten betrachtet werden. Mit seinem ersten und einzigen Roman wollte Kivi eine Literatur schaffen, die dem finnischen Volk gerecht wird mit all seinen Sagen und Legenden, seiner Mischung aus christlicher und abergläubischer Metaphorik. Die Bedeutung des Romans Die sieben Brüder und des gesamten Œvre von Aleksis Kivi hat man erst nach seinem Tode erkannt. Am 10. Oktober wird in Finnland alljährlich der Aleksis Kivi-Tag gefeiert.

Anlässlich des Jubiläumsjahres hat SKS eine Jubiläumsedition mit einer Leseanleitung veröffentlicht. Sie soll den Lesern helfen, das Werk mit neuen Augen zu entdecken. Es gibt ein Verzeichnis für die im Roman vorkommenden Personen, Orte und Gesänge, interessante inhaltliche Zusammenfassungen und mehr als 700 Angaben und Interpretationen zu Wörtern und Ausdrücken, die in der modernen Sprache nicht mehr gebräuchlich sind. Die Leseanleitung hat der Aleksis Kivi-Spezialist und Literaturforscher Sakari Katajamäki geschrieben.

 

Quelle: www.finlit.fi