Reisebericht Teil 6: Von Utsjoki in Lapplands Norden zum Eismeer

Auf ihrer neunwöchigen Finnlandtour haben Alexandra und Niels-Peter die nördlichste Spitze Finnlands und der EU bei Nuorgam überquert und sind am Eismeer angekommen. Die Landschaft bietet atemberaubende Bilder, die Alexandra gekonnt mit ihrer Kamera festhält. Am Vardangerfjord entlang geht es bis zur Halbinsel Ekkerøya mit ihrem berühmten Vogelfelsen:

So weit im Norden Lapplands waren wir noch nie und da wir ans Polarmeer wollen, geht es über die Grenze nach Norwegen (Kartenausschnitt Norwegen weiter unten).

Wir folgen dem Teno nach Finnland und kommen am Freitagabend, dem 2. September, in Utsjoki an Finnlands Nordgrenze an. Wir parken vor dem Shopping-Center, dem einzigen Geschäft im Ort und kaufen erstmal ein paar Lebensmittel ein. Die machen den geringeren Teil des Angebots aus. Von Gummistiefeln über Angelbedarf bis hin zu Badeanzügen und Deko für Haus und Garten gibt es hier so ziemlich alles. In Utsjoki führt eine Brücke über den Teno nach Norwegen, da EU-Grenze mit Zollstation.

 

 

 

 

 

 

 

Der Ort liegt an der Mündung des von Süden kommenden Flusses Utsjoki in den Teno. Er hat 1.178 Einwohner*innen, die sich auf 4 Dörfer verteilen, von denen Karigasniemi mit einer Distanz zum Kirchdorf Utsjoki von 101 km und 300 Einwohner*innen das zweitgrößte ist. Die nächste Stadt mit über 5.000 Einwohner*innen ist Rovaniemi, 452 km und 5 1/2 Fahrstunden entfernt.

Der Campingplatz liegt im Ort, er wirkt familiär. Es wird finnisch gesprochen.

Der ältere Mann aus dem Wohnwagen neben uns spricht mich an und fragt, ob wir Kardemumma (so nennen wir unseren VW-Bus) nicht andersrum hinstellen könnten. Seine 17-jährige Katze, mit der er an der Leine auf dem Platz spazieren geht, hat Angst vor Nellie. Wir machen das sofort und haben einen finnischen Freund gewonnen. Er erzählt später, er sei Rentner, früher zur See gefahren, wohne in Kotka und verbringe die Sommer in Utsjoki.

Wir beschließen, da das Wetter trocken angesagt ist, am nächsten Tag eine der im Wanderführer Finnisch-Lappland (Conrad Stein Verlag) vorgeschlagenen Wanderungen zu machen. Es ist keine Rundwanderung, daher frage ich an der Rezeption, wo und wann der einmal täglich verkehrende Bus Richtung Ivalo fährt. Der Inhaber des Campingplatzes meint, nicht nötig, er sei morgen zwar nicht da, aber sein Freund sei morgen an der Rezeption und fahre uns zum Ausgangspunkt. Er selbst ist Lehrer und sei morgen mit seiner Schulklasse auch dort.

Der Freund steht am nächsten Mittag wie verabredet mit dem Auto vor Kardemumma und bringt uns zu den Kirkkotuvat, den Kirchhütten am See Mantojärvi, einer Ausbuchtung des Utsjoki. Die Kinder der Schulklasse wandern an der Straße schon zurück. In den Kirchhütten haben früher die Kirchgänger, die Sami, die überall verteilt lebten, gewohnt, wenn sie zu den Fest-Gottesdiensten kamen. Die Kirchhütten waren auch Treffpunkt und Marktplatz.

Wir besichtigen sie und auch das Sommercafé in einer der Hütten, dort gibt es für 1 Euro Kaffee und für 1,50 Waffeln. Zwei junge Frauen machen das ehrenamtlich und sind begeistert von Nellie – ihana (wunderbar).

 

 

 

 

 

 

 

Gegenüber den Kirchhütten, auf der anderen Seite der Straße, liegt auf einer Anhöhe die immer noch genutzte Kirche, die aber derzeit wegen Bauarbeiten geschlossen ist.

Nach der Stärkung geht es zur Wanderung. Wir treffen den Campingplatz-Besitzer, der uns einen alten Wanderweg von der Kirche ins Dorf empfiehlt. Wir wollen aber die Wanderung über die Fjells machen und er bringt uns zum Startpunkt. Der Weg führt bergan, auch hier wachsen Blau- und Preiselbeeren. Wir pflücken nicht, da wir noch 11 k m vor uns haben. Die laut Wetterbericht wenigstens ein bisschen angesagte Sonne kommt nicht durch, dafür fängt es bei ziemlich starkem Wind immer wieder an zu nieseln. An der ersten Feuerstelle sitzen Finnen und kochen Kaffee über dem Feuer.

Es geht über eine Brücke über einen kleinen Bach und weiter hinauf über die Baumgrenze.

 

 

Wir haben Gegenwind und der Nordwind ist stark und eisig. Das Klima hier oben auf dem Berg wirkt abweisend, die Natur respekteinflößend. Man kann sich vorstellen, dass es naheliegt, Götter gnädig stimmen zu wollen, und ich mag mir nicht vorstellen, wie das hier bei Schneesturm ist. Vom höchsten der Fjells aus sehen wir tatsächlich weit entfernt schneebedeckte Berge Norwegens.

Wir sind froh, als wir wieder unter die Baumgrenze und in den Birkenwald kommen. Der Regen hat aufgehört, wir wandern ein Stück des geologischen Lehrpfads über die Entstehung dieser Landschaft bis zum Ort zurück.

Abends buchen wir die Sauna und genießen die Wärme und Entspannung. Sonntag beschließen wir, noch einen Tag zu bleiben. Mittags gibt es Pilz-Risotto im Auto. Nachmittags gehen wir Blau- und Preiselbeeren sammeln und abends im Hotel Utsjoki essen.

Das Hotel wurde 1959 eröffnet, es liegt mit schönem Blick über einer Biegung des Utsjoki. Wir dürfen mit Nellie in den Bereich, in dem Tische in Nischen stehen.

Das Essen ist sehr gut, vor allem, die Garnelen mit Blauschimmelkäse und Knoblauchöl und Niels-Peters Rentierkeule. Der sehr nette junge Kellner freut sich, dass es uns schmeckt. Wir bestellen zum Nachtisch einen Kaffee und bekommen eine Kanne. Die leeren wir, es ist Nordlicht angesagt, wir wollen lange wach bleiben.

 

 

Nach dem Essen spazieren wir am Fluss entlang. Die Lichter gehen grade an. Wir finden noch Tafeln mit Informationen über den Ort, zwei Wanderwege und Hinweisen zum (Eis-) Angeln.

Utsjoki erschließt sich uns langsam. Vieles will entdeckt werden und offenbart sich nicht auf den ersten Blick. Der Abend ist sehr schön, der Himmel bewölkt sich allerdings vollständig, das Nordlicht ist für uns unsichtbar wohl über den Wolken.

Am Montag gehen wir nochmal ins „Shopping-Center“, essen Lounas/Mittag im Hotel, das ganz gut besucht ist, und wollen vor der Weiterfahrt noch einen der kleineren Wanderwege am Fluss machen. Wir fahren mit den Rädern zum Ausgangspunkt. Da das Wetter sehr grau und kalt ist, belassen wir es bei Preiselbeerpflücken am Hang des Tenojoki und vertagen die Wanderung.

 

Weiter geht es in den nördlichsten Ort der EU, Nuorgam.

Von den in den Reiseführern beschriebenen Grenzsupermärkten – für Norweger ist das Einkaufen in Finnland viel günstiger, vor allem Alkohol – ist nur noch einer mit einem Alko übrig. Niels-Peter fährt noch mit dem Rad los das holen, was wir in Utsjoki nicht bekommen haben, u.a. mein Lieblingsmüsli mit Blaubeeren, Vanille und Kürbiskernen.

Der nächste Morgen empfängt uns – endlich mal wieder – mit Sonne. Der Himmel hier oben wirkt hoch, das Licht ist unglaublich klar. Wir kochen die Blaubeeren ein, sie sind ziemlich reif. Die Preiselbeeren halten sich. Dann geht es bei traumhaftem Wetter nach Norwegen. An der Tana Bru entscheiden wir uns nicht für den Ishavsveien nach Berlevåg sondern für den Varangerfjord, da dort zumindest eine Mischung aus Sonne und Wolken angesagt ist.

 

 

Kartenausschnitt von Nuorgam zum Varangerfjord, © OpenStreetMap contributors ODbK 1.0

 

Aus ein paar Kilometern Entfernung sehen wir zum ersten Mal das Polarmeer.

Erster Halt am westlichen Ende des Fjords ist das Sami-Museum über das Leben der See-Sami in Varangerbotn. Es zeigt, wie sich die Besiedlung nach dem Weichen der Eiszeit entwickelt hat und wie die Sami das Leben angepasst an die Natur und die Jahreszeiten gestaltet haben, erst mit vier Wohnsitzwechseln im Jahr, später mit zwei. Heute sind fast alle sesshaft.

Die Aufteilung der Wohnstätten und der Aufgaben wird ebenfalls geschildert. Neben Fischfang und Jagd spielten die Beeren bei der Ernährung eine große Rolle. Ich kann gar nicht glauben, dass die Moltebeeren noch am nördlichen Rand des Varangerhalbinsel wachsen. Die Häfen des Varangerfjords bleiben durch den Golfstromeinfluss auch im Winter meist eisfrei.

Wir haben nach dem Museumsbesuch ordentlich Hunger, 17 Euro für die günstigste Pizza wollen wir nicht ausgeben. In den Kro darf Nellie nicht mit, draußen essen bei gefühlten 2 Grad wollen wir nicht, also gibt’s Fastfood von der Tanke.

Wir fahren auf der E 75 im Sonnenlicht am Fjord entlang und können uns nicht stattsehen. Ich fotografiere durch die Autoscheibe und aus dem Fenster, weil man oft nicht halten kann.

 

 

 

 

 

 

 

Die Kirche des nächsten Ortes Nesseby liegt auf einer Halbinsel und leuchtet in der Sonne.

Der Campingplatz liegt in Vestre Jakobselv, ca. 15 km vor Vadsø. Er gehört zu einem Freizeit- und Tagungshaus der evangelischen Kirche und will Reisenden günstige Übenachtungsmöglichkeiten bieten. Neben der Wiese mit den Stromanschlüssen für die Camper – wir sind vorerst die einzigen – kann man Holzhütten mieten.  An der Rezeption hängt ein Zettel mit Telefonnummer, wir machen 19 Uhr aus zum Bezahlen, wir wollen noch nach Vadsø reingucken. Erstmal stellen wir aber – dringend nötig – die Waschmaschine an.

 

Vadsø ist die Hauptstadt der Finnmark, Anlaufhafen der Hurtigruten und hat einen ziemlich großen Fischereihafen.

Die von Murmansk aus in den Varangerfjord eingewanderte Königskrabbe ist auch hier für die Fischer wichtig. Die Fischerei ist hier nach wie vor ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Der Varangerfjord ist bei Vadsø bereits 55 km breit und gibt den Blick auf die Barentssee frei. Das Licht über dem Fjord ist wunderbar.

Die Kirche liegt am Hang und ist außergewöhnlich, offensichtlich ist grade Konfer zu Ende. Nach Vadsø waren im 19. Jahrhundert viele Finn*innen eingewandert, als dort wegen großer Kälte eine Hungersnot herrschte. Für sie ist ein schöner Gedenkstein aufgestellt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Überall sind Blumen zu finden, ich wusste nicht, dass Rittersporn soweit nördlich gut gedeiht, auch Scheinmohn wächst am Straßenrand.

 

 

 

 

 

 

 

 

Vor den Häusern stehen Blumenampeln und Kübel mit Sommerpflanzen, bei Höchsttemperaturen Anfang September von 7 -10 Grad. Es fällt auf, dass in vielen Fenstern Lampen stehen, die oft auch tagsüber leuchten. In Vadsø ist von 23.11. bis 21.01. Polarnacht. Auf den Dächern sitzen die hier heimischen Dreizehenmöwen.

Um 19 Uhr sind wir am Campingplatz zurück und bezahlen erstmal für eine Nacht 26 Euro, für norwegische Verhältnisse supergünstig.

 

Der Himmel ist abends klar, durch die Zeitumstellung wird es hier eine Stunde früher dunkel und tatsächlich erscheint schon kurz vor 23 Uhr ein Polarlicht am Himmel, das immer stärker wird.

Wir haben diesmal das Stativ ausgepackt und fotografieren mit Kamera und mit Handy. Das holländische Paar, dessen Camper inzwischen neben uns steht, ist auch draußen. Über uns entsteht ein richtiges grünes Feuerwerk, das nicht nur im Norden, sondern von allen Seiten leuchtet – trotz der ziemlich hellen Lichter auf dem Platz.

Es sind 2 Grad, aber wir können uns nicht sattsehen und sind gut eine Stunde draußen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Mittwochs beschließen wir, noch zu bleiben. Wir haben keine Lust auf Autofahren und gehen zu Fuß los in den Ort und erkunden den Ort und den Hafen. Nach dem Mittagessen fahren wir mit den Rädern zum Ausgangspunkt zu einer Wanderung entlang des Flusses Jakobselv. Es stellt sich schnell heraus, dass er ein Lachsfluss ist, mehrere Plätze am Ufer sind mit Grill und Bänken ausgestattet und mit Hinweisen fürs Angeln. Sogar Sägen für das Brennholz sind dort vorhanden.

 

 

 

 

Es gibt mehrere Stromschnellen, an denen wir vorbeikommen. Das Flussbett zeigt das 25 Millionen Jahre alte Sandsteingebirge.

 

 

 

 

 

Die Birken, hier in diesen Breitengraden wachsen nur noch Bergbirken, und die Sträucher strahlen auch bei bedecktem Himmel vor warmer Herbstfarben. Wilde Blaubeeren und Preiselbeeren sind auch zu finden, wir pflücken vor allem Blaubeeren, die Zeit dafür ist fast vorbei.

Wir kommen hungrig zurück und beschließen, noch einen Tag auf dieser Seite vom Fjord zu verbringen.

 

 

Am Donnerstag fahren wir nochmal Richtung Osten nach Vadsø. Niels-Peter fährt mit dem Rad, ich fahre mit Nellie mit Kardemumma etwas später los. Wir treffen uns am Rema 1000 zum Einkaufen. Danach wollen wir ins Museum von Vadsø, das vor allem der Geschichte der Einwanderung gewidmet ist. Diese scheint auch heute aktuell zu sein. Wir treffen auffallend viele junge Menschen, die asiatisch aussehen. Insgesamt sinkt die Bevölkerungszahl in den Orten in der Finnmark, viele junge Menschen ziehen in die größeren Städte im Süden.

 

Die Adresse des Museums ist merkwürdigerweise nicht einfach zu finden, die im Reiseführer stimmt nicht mehr. Der Routenplaner führt zu zwei Häusern, sie sind jedoch Außenstellen des Museums, die um diese Jahreszeit aber geschlossen sind. Vieles hier ist nur bis Mitte August geöffnet, zur skandinavischen Ferienzeit. Schließlich landen wir 13 km hinter Vadsø in Ekkerøy.

 

 

Hier steht eine alte Fischfabrik, die auch zum Museum gehört. Sie ist ebenfalls geschlossen, genau wie das Restaurant darin.

 

 

 

 

 

 

 

Ich erfahre schließlich über die auf der Website angegebene Telefonnummer, dass das Haupthaus doch direkt in Vadsø und bis 15 Uhr geöffnet ist. Da wir schon mal auf der für Ihre Vogelfelsen berühmten Halbinsel Ekkerøya sind, gehen wir den Wanderweg einmal um die Halbinsel herum. Natur und Landschaft sind grandios.

 

 

 

 

 

 

 

Am Horizont sehen wir die Hurtigrutenfähre auf dem Weg von Kirkenes nach Vardø.

Es gibt auch große Moltebeerflächen, ganze Felder, nun in der Herbstfärbung.

 

 

 

 

 

 

 

 

Die meisten Vögel sind ebenfalls Mitte August schon ausgewandert, die Felsen scheinen verlassen.

Foto: Niels-Peter Mahler

Aber einige Vögel, vor allem Enten …

 

 

 

 

 

 

 

und Möwen…

 

 

 

 

 

und der für uns ungewöhnliche Alk bleiben.

 

 

 

 

 

Foto: Niels-Peter Mahler

 

Nellie guckt mit, was ich da fotografiere.

 

 

 

 

 

Wir brauchen viel länger als gedacht und schaffen es nicht mehr zum Museum. Das heben wir uns für nächstes Mal auf, wir werden wohl noch mal früher im Jahr kommen.

Foto: Niels-Peter Mahler

Auf dem Rückweg zum Campingplatz machen wir einen kleinen Umweg über die frühere Insel, jetzt Halbinsel von Vadsø. Niels-Peter besucht den Luftschiffmast, den einzigen in Europa, der noch steht. Von hier ist Roald Amundsen im Mai 1926 über den Nordpol nach Alaska geflogen.

 

Am nächsten Tag wollen wir einmal um den Fjord herum nach Bugøynes. Es liegt auf einer Halbinsel an der raueren Südseite des Fjords.

 

 

 

Fortsetzung folgt!

Bisherige Beiträge:

Teil 1: Neun Wochen durch Finnland mit dem VW-Bus

Teil 2: Am Polarkreis im Mökki und Airbnb

Teil 3: Vaasa und der Kvarken

Teil 4: Von Vaasa nach Oulu – Sommer in der Stadt

Teil 5: Im Käsivarsi – in Finnlands Arm

 

Text und Fotos: Alexandra Mahler-Wings